Der typische Verbrecher ist männlich, hetero. In Deutschland außerdem noch weiß. Er ermordet gerne Frauen. Er ist Ehemann, Vater, eifersüchtiger Liebhaber, Ex-Freund, Stalker. In den deutschen Medien lesen wir über seine Taten als „Beziehungsdrama“, „Familientragödie“ oder „Mord aus Leidenschaft“. Dabei ist er jedoch vor allem eines: Ein Mann, der Frauen ermordet, weil sie Frauen sind.
Laut der Statistik des Bundeskriminalamtes starben im Jahr 2016 149 Frauen durch ihre Partner oder Ex-Partner. 82 Prozent der insgesamt 133.000 Opfer häuslicher Gewalt sind Frauen. Die Zahlen der gegen Frauen gerichteten Gewalttaten steigen seit Jahren kontinuierlich an (im Vergleich zu 2015 ca. 4 Prozent).
Misogynie und Femizid
Diana E. H. Russel, eine südafrikanische Soziologin und Feministin, war die erste, die mit dem Begriff „Feminzid“ die von „Männern begangene Tötung von Frauen, weil sie weiblich sind.“ beschrieb. Wir haben also seit 1976 einen Begriff für etwas, das bis heute in den Medien als Beziehungstragödie oder Eifersuchtsdrama bezeichnet wird. Seit 1976. Das sind nun über 40 Jahre, in denen dieser Tatbestand weitgehend unbekannt ist und verharmlost wird. Auch die deutsche Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf.
Obwohl wir nun also schon seit vier Jahrzehnten einen Begriff dafür haben, reden wir seit einigen Jahren nur dann von Gewalt gegen Frauen, wenn sie von einem Menschen ausgeht, der auf den ersten Blick als „nicht deutsch genug“ wirkt. Doch nicht die Herkunft ist das Problem. Auch nicht eine bestimmte Kultur oder Religion, denn auch unsere „deutsche Leitkultur“ baut auf einem zutiefst frauenverachtenden System auf, das die strukturelle Benachteiligung von Frauen verinnerlicht hat.
„Es gibt viel zu besprechen, wenn es um Femizide gibt. Aber das tun wir nicht. Das tun wir nur, wenn die AfD aufschreit, weil es ein Geflüchteter war, der eine Frau tötete. Und dann stehen wir uns zähnefletschend gegenüber: auf der linken Seite die sogenannten „Realitätsverweigerer“, die die Femizide „relativieren“, auf der rechten Seite die „populistischen Hetzer“, die den Femizid nur dann als schlimm empfinden, wenn der Täter Muslim war.“ (Quelle)
M wie Machtlos, M wie Mann
Die Frau stellt das Rollenverständnis des Mannes infrage, sobald sie ihn zurückweist, sich von ihm trennen will oder ihre Karriere besser läuft. Die Tötung einer Frau, weil sie in den Augen eines Mannes gegen die ihr angeblich zugedachte Rolle verstößt, ist nur die Spitze eines Eisberges an Gewalt und Hass, der sich gegen Frauen richtet. Sobald sich eine Frau positioniert, sich gar feministisch äußert, werden Vergewaltigungswünsche und Morddrohungen für sie zum schrecklichen Alltag.
Und worüber regen sich die meisten weißen Hetero-Männer auf? Über Hashtags wie #menaretrash – anstatt aktiv Betroffene zu unterstützen, sich vor sie zu stellen und gegen die Täter vorzugehen. Nein, sie glänzen im Wegducken und Überrascht sein, wenn mal wieder eine Statistik veröffentlicht wird, die beweist, welche Gewalt Frauen täglich erfahren.
Das Video des Podcasts „Just Not Sports“ entlarvt Männer deshalb in zweifacher Hinsicht. Darin sollten sie Frauen Hasskommentare vorlesen. Die Frauen wissen Bescheid, denn sie werden täglich damit konfrontiert. Die Männer, ja, die Männer haben keine Ahnung. Sie sind überrascht, erschüttert, ernüchtert.
Doch warum sind die Männer so überrascht? In welcher Parallelwelt leben sie denn? Züchten sie Einhörner im Garten hinter dem Haus und summen beim Ställe misten fröhliche Kinderlieder? Woran liegt es, dass sie von diesem allgegenwärtigen Hass nichts mitbekommen? Wollen sie es nicht wissen? Sehen sie weg? Verharmlosen sie? Und macht sie genau das dann nicht zu Mittätern?
Doch ist es ihnen vorzuwerfen, wenn schon das ganze System immer wieder verharmlost und die Täter sogar mildere Strafen erwartet, weil sie im Affekt, statt aus „Heimtücke“ gehandelt haben? Keine Sorge, das war jetzt eine rhetorische Frage. Natürlich ist es ihnen vorzuwerfen. Wir leben schließlich im Jahr 2018! Wir haben fast unbegrenzten Zugang zu Wissen und man sollte meinen, dass keinem Mann erklärt werden muss, welche Auswirkungen patriarchale Strukturen und toxische Männlichkeit in Kombination mit Misogynie haben.
Je mehr Macho, desto mehr Misogynie
In Ländern wie Italien, Peru, Argentinien, der Türkei oder auch Mexiko werden noch viel mehr Frauen Opfer von männlicher Gewalt. In „Machokulturen“ trifft Frauenverachtung immer wieder auf fruchtbaren Boden, obwohl inzwischen schon die Gesetze angepasst wurden und in Peru sogar seit 2011 der Feminizid, der geschlechtsspezifische Mord, als Straftat im Gesetz steht. Die Zahl der Morde sinkt aber dennoch nicht nicht. In Chile hat sich die Protestbewegung #NiUnaMenos (Nicht eine weniger) gebildet und in Deutschland will die Initiative #KeineMehr über die strukturellen Hintergründe des Feminizids aufmerksam machen.
Noch immer gibt es in Deutschland kaum Bewusstsein für den Tatbestand des Feminizids. Es werden vor allem Tötungsdelikte in Partnerschaften erhoben, die Gewalt gegen Frauen außerhalb der Familie und es Freundeskreises beschert uns eine enorme Dunkelziffer. Frauenfeindliche Straftaten zählen darüber hinaus auch nicht als „politisch motiviert“. Dabei wäre es höchste Zeit, das nachzuholen. Im §46 zur Strafzumessung werden als erschwerende Beweggründe rassistische, fremdenfeindliche und menschenverachtende Motivation aufgezählt. Speziell Frauenfeindliche sucht man dort vergebens.
Dass der Frauenhass inzwischen immer mehr beängstigende Ausmaße annimmt, zeigte der Fall des 25-jährigen Alek M., der im April 2018 in Toronto mit einem Lieferwagen in eine Menschenmenge raste und dabei zehn Menschen tötete. Der Verdacht liegt nahe, dass er der sogenannten Incel-Bewegung angehörte.
Incel, das sind Männer, die unfreiwillig enthaltsam leben und die Frauen dafür die Schuld geben. Eine Bewegung, die in Vergewaltigungsfantasien schwelgt und in der sich Pick-up-Artists zu Männerrechtlern, Nazis und Gamergatern gesellen und die vor allem eines gemein haben: Sie gruppieren sich und machen vor allem online Jagd auf Frauen, überschütten sie mit Hassbotschaften, Morddrohungen, Vergewaltigungswünschen, weil diese nicht ein bestimmtes Frauenbild transportieren.
Ja, und jetzt?
Es ist an der Zeit, unser Bewusstsein zu sensibilisieren. Den Blick für toxische patriarchale Strukturen zu schärfen und Gewalt gegenüber Frauen nicht weiter zu bagatellisieren. Und es ist an der Zeit, dass Männer ihre Privilegien ablegen. Es ist Zeit, dass nicht nur Frauen sich feministisch äußern und sich den Haien zum Fraß vorwerfen. Männer, seid echte Verbündete. Positioniert euch, unterstützt und seht nicht weg. Seid nicht nur betroffen und jetzt gerade angepisst von meinem Beitrag, denn wenn ihr das seid, dann brauchen wir eure angebliche Unterstützung nicht. Dann nennt ihr euch nur „Allies“, weil ihr von uns erwartet, dankbar und angepasst zu sein. Werdet aktiv, ohne dazu aufgefordert werden zu müssen, verdammt nochmal, denn Gewalt hat ein Geschlecht!
Anmerkung:
Ebenso wie die Initiative #Keinemehr möchte ich betonen, dass aus den Polizei-Statistiken und der sonstigen Berichterstattung nur hervorgeht, dass es sich mehrheitlich um Frauen als Opfer handelt. Morde an Sexarbeiterinnen und trans Frauen wurden bisher nicht berücksichtigt.