Immer wieder lese ich in Essaysammlugnen zum Thema Feminismus, Feminismus sei Mainstream geworden. Es klingt wie ein Vorwurf. Feminismus sei das neue It-Etikett, das man sich selbst verpassen müsse, um als cool, modern, “gut” zu gelten. Und jeder Hans und Franz nenne sich heute Feminist*in.
Und es stimmt. Immer mehr Prominente egal welchen Geschlechts bezeichnen sich selbst als feminist*in als gäb’s dafür eine Medaille und eine Flatrate im nächsten Klamottenladen. Warum sich jemand als Feminist*in bezeichnet, ist erstmal egal. Insgesamt wird “Feminismus goes Mainstream” als Weichspüler der Bewegung bezeichnet1, der heutige Feminismus sei so kuschelig, mit dem Feminismus der zweiten Welle habe er nichts mehr gemein… die Litanei ist schier unendlich.
Feminismus als Wohlfühlbewegung?
Ist Feminismus inzwischen wirklich eine Wohlfühlbewegung, ein Sammelbecken für alle Kuschelbedürftigen? Nun ja. In feministischen Bezugsgruppen können Frauen durchatmen, wenn bestimmt auch nicht in jeder. Bodypositivity, Safe Spaces, Enttabuisierung von Themen wie Menstruatrion, Abtreibung, Regretting Motherhood…das und noch einiges mehr trägt dazu bei, dass sich Frauen zumindest zeitweise besser, sicherer fühlen können.
Doch genau das scheint nun älteren Feministinnen zu signalisieren, dass heutige, jüngere Feministinnen verwöhnte Mittelstandsgören sind, die keine Ahnung vom “echten Kampf haben”, während Antifeminist*innen und misogyne Menschen sich durch jene darin bestätigt sehen, dass Frauen doch sowieso schon längst alles und vielleicht sogar zu viel erreicht haben, einen Gang zurückschalten sollten, und überhaupt seien jetzt mal die Männer dran.
Feminismus als Kuschelzone zu erklären wertet nicht nur die Bedürfnisse von Frauen in einer frauenfeindlichen Welt ab, diese Bezeichnung verkennt auch die Kämpfe und Bemühungen, die jeden Tag auf unzähligen Ebenen ausgefochten werden, um der Gleichstellung aller Geschlechter und Abschaffung von Diskriminierung ein My näher zu kommen.
Wissen und unwissen
Man kann etwas nicht rück-, ent- oder unwissen. In dem Moment, wo man etwas liest, sieht oder hört, ist es im Kopf. Vielleicht wird es im Laufe der Zeit in die hinteren Ecken des Hirns verdrängt, vielleicht vergisst man Zahlen und genaue Statistiken, aber im Groben behält man es.
Hat man sich erstmal für ein Thema sensibilisiert, sei es die horrende Plastikverschmutzung im Meer, die Umstände der Massentierhaltung, Rassismus in Büchern, Diskriminierung von nicht heteronormativen Menschen, etc., fallen einem immer wieder Aspekte auf. Sie blenden sich quasi ins Denken ein. Je mehr man sich mit einem Thema beschäftigt, desto mehr Details fallen einem auf oder auch, wie tief verwurzelt und wie weit verbreitet ein Problem ist, wie unfassbar schwer der Weg zu einer Lösung.
Ebenso geht es auch Feminist*innen. Sie sind, in individuellen Abstufungen, sensibilisiert für Sexismus, Gender Pay Gap, fehlende Intersektionalität, Diskriminierung untereinander, etc. Mit der Zeit kennt man alle Argumente, nicht nur die eigenen, sondern auch die Argumente von Antifeminist*innen. Sie sehen Diskriminierungsmuster, erkennen tief verwurzelten Sexismus. Sie können sich dem nicht entziehen indem sie einfach den Kopf ausmachen. Und genau das ist die Grundlage, warum es anstrengend ist, Feminist*in zu sein.
Was ist das Problem?
Grundlagendiskussionen
Feministin sein ist anstrengend, denn schon darüber,was Feminismus eigentlich bedeutet und bezweckt, gibt es immer wieder Missverständnisse. Das Wort Femina (lat. Frau) steckt schon im Begriff, also geht es ausschließlich nur um die Rechte von Frauen, was sollten Männer davon haben. Und wenn Feminist*innen auch Rechte für Männer erstreiten wollen, wieso nennen sie sich dann nicht Humanisten?
Statt über Inhalte und Lösungswege zu sprechen, zu diskutieren, zu streiten, müssen Feminist*innen immer wieder erklären, warum es dieser Begriff und nicht jener ist.
Feministin sein ist anstrengend, denn man hat mit emotionaler Kritik zu tun, die aus Ignoranz, Unwissenheit und Häme geboren geboren wurde: wieso wird die Diskriminierung von Männern nicht in die feministische Agenda aufgenommen, z.B. was Themen wie Sorgerecht und Frauen/Männerhäuser angeht? Für Antifeminist*innen klar: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.
Statt über Statt über Inhalte und Lösungswege zu sprechen, zu diskutieren, zu streiten, erklären Feminist*innen wieder und wieder, dass auch solche Themen Teil des Kampfes gegen das Patriarchat sind, und wenn jemanden diese Themen besonders bewegen, könne man sich auch in diesem Bereich engagieren. Ohne anderen Aktivist*innen in den Rücken zu fallen.
Persönliche Ebene
Feministin sein ist extrem anstrengend, wenn man auf die wirklich humorvollen Männer trifft (ja, liebe Menschen, es sind meiner Erfahrung nach ausschließlich Cismänner), die unfassbar unterhaltsame Witze reißen wie “Ich bin voll feministisch, meine Frau darf sich aussuchen, ob sie Lippenstift beim Kochen trägt”. Oder argumentativ so rasiermesserscharf, dass eine Tomate 2m weiter in ihre Einzelteile zerfällt mit Antworten wie “Ach Fresse, du humorlose, untervögelte F*tze”. Oder die charmanten Traumprinzen, die gerne auch im Rudel auftreten, und die einem fröhlich eine Vergewaltigung wünschen.
Statt über Statt über Inhalte und Lösungswege zu sprechen, zu diskutieren, zu streiten, sind Feminist*innen damit beschäftigt, solche “Spaßvögel” zu ignorieren oder sich bei emotionalen Kräften zu halten, denn ob ihr es glaubt oder nicht: wohlmeinende Vergewaltigungswünsche können das Nervenkostüm angreifen oder direkt zerrütten.
Der engste Kreis
Jede*r Feminist*in kennt diese Endlosdiskussionen, in denen man sich im Kreis dreht und das Gefühl hat, die Grundlagen, die jede*r bei Wikipedia nachlesen kann, immer immer wieder erklären zu müssen. Nun, das gehört auch dazu, Feminist*in zu sein: immer wieder erklären, denn jede*r von uns startete mal an genau diesem Punkt der Unwissenheit. Wir können in Diskussionen nicht davon ausgehen, dass alle auf dem persönlichen Wissenslevel sind. Wenn di*er Gesprächspertner*in offen ist, kann das auch Spaß machen. Ermüdend wird es, wenn man gegen Windmühlen kämpft, Trolle, die sich einen Spaß daraus machen, Marginalisierte und deren Allies fertig zu machen, Argumente wider besseren wissens immer wieder mit Scheinargumenten zu torpedieren.
Neben den Trollen gibt es aber eine Gruppe, die noch kräftezehrender ist, wenn sie sich mit sexistischen Witzen, Scheinargumenten und völliger Ignoranz Gespräche einbringen. Mehr noch als stumpfe Trolle, die mir eine Massenvergewaltigung wünschen, kosten mich die Menschen, die mir am nächsten stehen, Kraft, wenn ich ihnen wieder und wieder erkläre, mich wieder und wieder verteidigen muss. Menschen, die es inzwischen eigentlich besser wissen müssten. Denkt man. Und man liegt falsch.
Ich sehe es an Freund*innen, die mir resigniert schreiben, dass sie ihrem Partner lange erklärt haben, warum eine bestimmte Situation oder Aussage sexistisch ist, nur um doch zu hören, dass man ja auch übertreiben könne. Die nachweisliche Fakten als feministisch überladen zurückweisen. Die einem den Kopf tätscheln, denn es ist zwar schön, dass man sich als Frau für Gleichberechtigung einsetzt, aber später soll sie bitte trotzdem Kinder bekommen und zu Hause bleiben. Dass man als Frau* doch eigentlich recht zufrieden sein könne, denn in Deutschland sieht es für Frauen doch ganz gut aus.
Von Menschen, die einem wichtig sind, die man liebt, zu hören, dass die eigene Diskriminierung nicht so schlimm sei und man nicht übertreiben solle, ist vermutlich die traurigste Situation, in der sich Aktivist*innen befinden können. Egal, wogegen oder wofür man sich engagiert.
Mach doch was anderes. Einhörner züchten zum Beispiel
Feminist*in sein, Aktivist*in sein, ist verdammt nochmal anstrengend, vor allem als Betroffene*r. Als Frau* kann ich mich nicht, nur weil ich an dem Tag einfach keinen Bock habe, mich mit Sexismus auseinanderzusetzen, der sexistischen Diskriminierung oder misogynen Gesellschaft entziehen. Eine WoC kann sich nicht, nur weil sie an dem Tag keinen Bock hat, rassistischer Diskriminierung entziehen. Eine Transfrau, ein Transmann kann sich nicht der transphoben Diskriminierung entziehen, nur weil si*er an dem Tag keinen Bock drauf hat.
Auch wenn ich mit Leib und Seele Feministin bin, bleibt mir am Ende des Tages keine Wahl – wenn ich etwas gegen Geschlechter-Diskriminierung und das Patriarchat tun möchte, muss ich Feministin sein. Doch es ist eben kräftezehrend. Nicht nur die Morddrohungen und Androhungen von sexualisierter Gewalt, nicht nur das Anrennen gegen Männer, die das jetzige Gesellschaftsmodell beibehalten wollen, sondern auch aushalten zu müssen, dass selbst Menschen, die unseren Rückzugsort bilden, die uns sonst so viel Kraft schenken, eben auch vom Patriarchat geprägt sind, und wir nichts dagegen tun können als aufzuklären.
Erzählt mir also nicht, dass Feminismus eine Wohlfühlangelegenheit ist, bei der Kuscheldecken und Kakao verteilt werden2. Feministin sein bedeutet zu kämpfen, jeden Tag, im Kleinen und im Großen. Aber wisst ihr was? Ich glaube, es ist es wert, ich bin nicht alleine, ich habe Mitstreiter*innen, die mir beistehen, und die mich unterstützen wie ich sie unterstütze. Das Patriarchat kriegt mich nicht klein, auch wenn es an vielen Tagen sehr viel Kraft kostet.
Und deswegen hebe ich mir Einhörner züchten für die Rente auf.
1 z.B. Jessa Crispin, Warum ich keine Feministin bin, S. 26f.
2 Keine Sorge, das machen wir auch.
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Niklas Hamann