[Triggerwarnung: Rape, Rape Culture, Victim Blaming]
Dieser Artikel ist der erste Teil eines zweigeteilten Artikels. Der zweite Teil wird morgen veröffentlicht.
Es ist Karneval, die fünfte Jahreszeit, das kulturelle Ereignis, mit dem ein Großteil Deutschlands ungefähr so viel anfangen kann, wie mit lauwarmen Bier. Allerdings ist der Karnevalsbrauch traditionell auch dazu gedacht, die Herrscher, heute Politiker, straffrei kritisieren und veräppeln zu können. Ähnlich wie der Hofnarr früher am Hof, der als einziger den König öffentlich kritisieren konnte, ohne Gefahr zu laufen, dafür gerichtet zu werden. Auch gesellschaftliche Themen werden aufs Korn genommen. Diese Tradition wird beim Rosenmontagszug und bei den Büttenreden durchaus aufrecht erhalten. Mehr noch aber wird mit Karneval das exzessive Trinken und oft kulturell fragwürdige Verkleidungen verbunden, Funkenmariechen in knappen Röcken, die alten Männern im Vorstand was vortanzen, und unschönen Nebenwirkungen wie Alkoholvergiftungen. Böse Zungen behaupten, dass es wenig Unterschiede zum Oktoberfest in Bayern gibt, und ein Wochenende auf dem Hamburger Kiez bringt ähnlich viele Schnapsleichen hervor wie der Karneval. Man mag davon halten, was man will. Es zu kritisieren bringt jedoch oft Probleme.
Der zündende Funke
Dagmar Rosenfeld, stellvertretende Chefredakteurin der Welt, hat sich in ihrem Artikel über Karneval nun nicht etwa den Alkoholkonsum Jugendlicher zum Thema gemacht – sondern den “Netzfeminismus”.
Am 24.02. machte Bernd Stelter einen Witz auf einer Karnevalssitzung. Das Ziel: der “sperrige” Name von Annegret Kramp-Karrenbauer. Ob der Standesbeamte sie nicht hätte warnen können, dass der Name seiner Meinung nach zu komplexsei. Was Stelter nicht wusste (oder für unwichtig befand): Frau Kramp-Karrenbauer hatte damals nur die Wahl zwischen dem Namen ihres Mannes und einem Doppelnamen, der den Namen ihres Mannes enthielt. Angesichts dieser erschreckenden Gesetzeslage (die sich erst vor wenigen Jahren besserte) ging eine Frau auf die Bühne, um Bernd Stelter zu erklären, warum der Witz nicht witzig sei. Die Politikerin wollte so emanzipiert sein wie es zu der Zeit eben ging. Und wenn der Name für andere scheiße klingt, dann liegt das nicht an Kramp-Karrenbauer. Sondern an der Gesetzeslage. Zudem hat sich ein Mann auch einfach nicht über den Namen von einer Frau lustig zu machen, die diesen nur trägt, weil die Politik ihrer Zeit Frauennamen für unwichtig befand.
Der Clip ging durchs Netz, viele echauffierten sich über den Witz und fanden es klasse, dass die Frau im PublikumHaltung zeigte. Andere wiederum fanden diesen “ganzen Emanzenkram” zu überzogen und zu hysterisch. Schautmal, die Feminist*innen (oder “Netzfeminist*innen, wie Frau Rosenfeld sie nennt) schwingen mal wieder die Heugabel. Jetzt wollen sie uns auch noch den Karneval wegnehmen!
Der Artikel der Dagmar Rosenfeld
In eben dieses Horn stößt nun Dagmar Rosenfeld mit ihrem Text. Mit aller Kraft. Denn der “daueraufgeregte Netzfeminismus (ist) zur Stelle, um nun auch noch den Karneval für die Mobilmachung gegen den alten weißen Mann zu vereinnahmen”.
Rosenfeld ist der Meinung, dass sich an Karneval zeigt, wie wertestabil eine Gesellschaft ist. Da wird geflirtet und geküsst, “auch die Vergebenen”. Sie feiert es, dass Diskriminierung und Anzüglichkeiten nun “spaßige Unterhaltung” werden und proklamiert: “#metoo hat Ferien.”
Es ist spannend, dass eine Frau in einer solchen Machtposition diese nicht nutzt, um anderen Marginalisierten zu helfen. Spannend, aber nicht überraschend, denn im Endeffekt benimmt sie sich genauso, wie es die meisten Frauen an ihrer Stelle tun. Sie schreibt wie ein Mann, um in dem Boysclub namens Journalismus zu überleben. Es wäre fast traurig, wenn Frau Rosenfeld nicht so absurd hasserfüllt schreiben würde.
#metoo ist anstrengend. Und soll es auch sein
Ja, #metoo ist anstrengend. Marginalisierte, die sich wehren, sind anstrengend. Die sind so humorlos in ihrer Unterdrückung, die können nicht lachen, wenn nicht-diskriminierte Menschen Witze über sie machen. Sie stören das “befreite” und “friedliche” Treiben des Karnevals, bei dem begrabschte Frauen und weiblich Gelesene lieber leise sind (man will ja nicht nerven), betrunkene Feiernde in Zügen laut mit dem N-Wort um sich werfen und sich dabei ganz ohne schlechtes Gewissen als ins “Disney-Indianer-Kostüm” werfen, was sie vorher für 3,99 billig beim Discounter bekommen haben. Die, die diese tolle Party stören, verstehen wohl einfach nicht, wie befreiend Karneval ist. Weil man da als nicht-diskriminierter Mensch mal kein Blatt vor den Mund nehmen muss und den eigenen Rassismus und Sexismus vor sich hertragen kann. #metoo hat Ferien, Vergewaltigung im Suff und das Begrabschen von allem, was Brüste hat, ist kein Verbrechen, denn es ist verdammt nochmal Karneval.
Möchte Frau Rosenfeld das Opfern sexualisierter Gewalt persönlich ins Gesicht sagen? Möchte sie es mir ins Gesicht sagen?
„Hey! Wir ignorieren dich auch die restliche Zeit im Jahr, aber an Karneval dürfen wir es aussprechen. Lach doch einfach drüber, dann geht es dir bestimmt besser. Wir loten hier doch nur unsere Grenzen aus und zeigen, wie wertestabil wir in so einer exzessiven Zeit sein können. Oh, du wurdest während des Karnevals vergewaltigt? … Das ist ein bedauerlicher Einzelfall.”
Findet ihr überzogen? Aber genauso und nicht anders liest es sich für mich als Rape Survivor. Ich soll während des Karnevals gefälligst die Klappe halten, um die Feiernden ja nicht zu stören. Die, die auch den Rest des Jahres nicht zuhören. Karneval als Safe-Space für Menschen, für die die ganze Welt eine Safe-Space ist, während sie sich über Leute, die nach einem solchen Space fragen, lustig machen.
Was hat #metoo überhaupt mit Karneval zu tun?
Übrigens ist sexualisierte Gewalt während des Karnevals kein bedauerlicher Einzelfall. “In den vergangenen Jahren waren nach Polizeiangaben in Köln durchschnittlich etwa 50 Sexualdelikte an den Karnevalstagen von Weiberfastnacht bis Fastnachtdienstag angezeigt worden”, und “Insgesamt nahm die Kölner Polizei 224 Anzeigen wegen Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und sexueller Übergriffe auf.” Leider wird in dem Artikel von 2016 nicht genau aufgeführt, wie hoch die Anzahl der Sexualdelikte war. Durchschnittlich 50 angezeigte Delikte binnen einer Woche sprechen trotzdem für sich. Die Dunkelziffer dahinter will man vermutlich gar nicht wissen. Und diese Betroffenen sollen nun still sein, um die Feiernden nicht zu stören? Für Betroffene, denen während des Karnevals so etwas widerfuhr, muss diese Aussage von Frau Rosenfeld ein Schlag ins Gesicht sein. Er ist es auch für alle anderen, die lernen, dass sie nie kritisieren dürfen. Denn wenn nicht gerade Karneval ist, finden Menschen wie Frau Rosenfeld andere Gründe, um die Kritik niederzuschlagen und als übertrieben zu bezeichnen.
Frau Rosenfeld wirft Kritiker*innen des Witzes vor, “Karneval nicht verstanden” zu haben. Frau Rosenfeld, Sie haben Karneval nicht verstanden, denn wie bei Satire tritt Karneval ursprünglich nach oben, nicht nach unten. Gerade als Chefredakteurin einer der größten Zeitungen des Landes haben Sie die Verantwortung, Diskriminierten und Benachteiligten Gehör zu verschaffen. Und sie nicht zum Schweigen gebracht werden, nur weil Sie gerade in Ruhe Funkenmariechen spielen wollen. Wenn Sie das nicht können ist es vielleicht Zeit, dass Sie mal Ferien machen – und den Platz für #Metoo frei machen.