Was passierte, als ich der Welt ankündigte, dieses Jahr keine Bücher von cis Männern zum vollen Preis zu kaufen.
[CN Neujahrsvorsätze, Erasure nichtbinärer Menschen]
„Ich kaufe dieses Jahr keine Bücher von cis Männern zum vollen Preis.“ Diese Entscheidung entstand bei mir relativ zufällig, eine Weile nach dem Hype um Vorsätze und alles darum herum – kurz nach Silvester, als mir klar wurde, dass ich 2019 noch kein Buch gekauft hatte. Und im Nachklang der Vorsätze, in dieser etwas besseren Phase, in der die Hälfte meiner Umgebung die Vorsätze aufgibt und sich vornimmt, nie wieder welche zu beschließen, und die andere Hälfte erkennt, dass sie auch ohne direkte Vorgaben Gutes in die angedachte Richtung tun kann. (Dazu sollte ich anmerken, dass meine Umgebung eigentlich fast durchgehend Vorsätze hat, die sie die Welt verbessern und nicht sich selbst unter Druck setzen lassen. Der Druck zu Veränderungen an sich selbst, besonders in Richtung Schönheitsnormen, ist scheiße.)
Und eigentlich dachte ich, dass das dann eben meine kleine Aktion wäre. Und habe es anderen gegenüber auch erwähnt – gerade, weil ich mich eben im Internet und im Real Life viel über mein Leseverhalten austausche. Und ich dachte auch, dass ich bereits als bewusste Leserin und queerfeministische Aktivistin bekannt war. Dass so ein Vorsatz mein Umfeld doch eigentlich nicht mehr erschüttern konnte. Doch die Folgen sollten mich noch überraschen.
Die ersten Reaktionen
Meine ersten direkten Reaktionen kamen von meiner Familie. Es gab die üblichen Einwürfe in Richtung „Da kannst du doch auch formulieren, dass du nur Frauen lesen willst!“ (Nein, das ist nicht mein Punkt, es gibt mehr als zwei Geschlechter und trans Menschen existieren, verdammt). Aber abgesehen davon scheine ich dort einfach schon ausreichend als aktivistisch in all meinen Lebensbereichen bekannt zu sein, und es kam tatsächlich kein anderer Gegenwind. Der holte mich erst auf Twitter ein, als mich ein Shitstorm überrollte. Im Nachhinein würde ich diesen Shitstorm nach dem in Bezug auf „Feminismus oder Schlägerei“ doch als relativ klein ansehen, doch er war für das persönliche Thema beeindruckend. Und tatsächlich traf er auch die Seiten, auf denen ich mich über Bücher ausgetauscht habe und immer noch austausche.
Ein paar positive Kritikpunkte gab es dabei aber auch. Zum Beispiel, dass Pseudonyme irrtümlich vergeben werden können und dass das nicht immer durch Recherche herauszufinden ist – manchmal muss noch mehr Zeit investiert werden, manchmal ist es tatsächlich gar nicht möglich, weil die schreibende Person das nicht mit der Öffentlichkeit teilen will. Außerdem ist es gar nicht mal so cool, anhand von Namen auf ein Geschlecht zu schließen und zu erwarten, dass sich alle Menschen, die Bücher schreiben, öffentlich auf der Seite ihres Verlags outen. Dazu kommen so spannende Dinge wie das Fehlen von ganzen Vornamen, die dann doch wieder nur abgekürzt werden. Wie gehe ich damit um?
Noch habe ich keine ideale Lösung gefunden. Bisher lese ich auf der Website der Person nach, wenn es eine gibt, und sonst auf der Verlagswebsite. Ja, dadurch übersehe ich Menschen, die nicht öffentlich trans sind. Aber für jetzt gerade ist das die für mich beste Lösung. Dazu kommt eben, dass ich doch nicht in der Lage bin, alles zu lesen, was der Markt so hergibt. Wenn ich unsicher bin, gebe ich das Geld im Buchladen für Bücher zum vollen Preis eben einer Person, bei der ich sicher bin, dass sie kein cis Mann ist. Wenn ich ein Buch wirklich will, kann ich es auch in Läden für gebrauchte Bücher suchen oder gebraucht bestellen. Auch das hat wieder Nachteile, aber noch überwiegt für mich der Vorteil gebrauchter Bücher und ihre Weiterbenutzung die Ausbeutung von Zustellenden. (Aber ja, ich bestelle keine gebrauchten oder neuen Bücher bei Amazon, nur von Wunschlisten für andere, wenn sie ihre Adresse nicht preisgeben möchten).
„Du bleibst doch nicht dabei, oder?“
In den letzten Wochen habe ich einen spannenden Trend festgestellt. Durch die Anmeldung auf einer neuen Website für Schreibende habe ich diesen Vorsatz noch einmal in eine neue Gruppe von Menschen geworfen. Durch die krassen Reaktionen habe ich diesen Vorsatz auch noch einmal auf anderen Plattformen aufgenommen und referenziert, wie es bisher läuft. Und tatsächlich sammeln sich sowohl dort als auch in meinem Offline-Umfeld langsam die Reaktionen derer, die überrascht sind, dass ich „durchgehalten habe“.
Aber warum auch nicht? Ja, ich habe extrem gute Voraussetzungen. Ich habe noch ein paar ungelesene relativ aktuelle Bücher von cis Männern in meinem Regal, sodass sich die Auswahl anfangs gar nicht so anders anfühlte. Ich habe einen sehr coolen Buchladen für gebrauchte Bücher in meiner Stadt, der sie sehr günstig verkauft und gleichzeitig fast so gut sortiert ist wie eine herkömmliche Buchhandlung – was eben fast alle anderen Secondhand-Buchläden nicht sind und was mich auch an allen anderen sehr abschreckt. Ich habe einige Buchläden und andere Läden (unter anderem welche, die eigentlich Lebensmittel verkaufen) im direkten Umfeld, die Mängelexemplare verkaufen, oft auch von Bestsellern.
Aber es hat sich trotzdem etwas verändert. Ich nutze diese Gelegenheiten nicht mehr, um Bücher von cis Männern zu kaufen. Ich habe in diesem Jahr noch kein einziges Mal einen dieser Auswege genutzt. Bisher habe ich nur zwei der vorhandenen Bücher gelesen, beide Anfang Januar – und nur Bücher von Frauen gekauft, in welcher Form auch immer. Mein Ziel hat sich damit tatsächlich etwas verschoben: Ich will auch noch mehr darauf achten, was ich innerhalb dieser Einschränkung lese. Noch mehr von Menschen, die nicht weiß und cis sind. Endlich mal etwas von einer nichtbinären Person. Falls ihr etwas wisst – ich gehe jetzt in die Recherche, aber ich freue mich über Tipps!
„Aber du bist doch Literaturwissenschaftlerin!“
Die Kritik hat sich inzwischen zwar etwas verschoben, aber einem Argument begegne ich immer wieder. „Aber du studierst doch Literatur!“ Irgendwie scheint das den meisten Menschen wie ein Totschlagargument vorzukommen. Es steckt eine Menge darin: Du verpasst doch etwas („das Beste“?), du stellst deinen Aktivismus über den erforderlichen Kanon für deinen selbstgewählten Bildungsweg, du erschaffst aktiv Wissenslücken, die dich zu einer schlechteren Literaturwissenschaftlerin machen.
Ich finde, das ist alles Müll. Ich habe jahrelang vor und im Studium immer dieselben weißen cis Männer durchgekaut. Ich mag auch einige davon. Aber viel war einfach Pflicht. Weil es dazugehörte, weil es „der Kanon“ war. Viel war einfach auch nicht gut, ich fand mich weder in Goethes Gedichten besonders wieder noch in Christian Kracht (Ich habe bis heute das Bedürfnis, mich zu schütteln, wenn ich seinen Namen höre). Ich brauchte Jahre, bis ich endlich die Möglichkeit bekam, auch mein Studium mehr in diese Richtung zu gestalten. Ich durfte im Wintersemester ein wunderbares Seminar zu Autorinnen in der Weimarer Republik besuchen. Und jetzt schreibe ich meine Bachelorarbeit über Natascha Wodin.
Inzwischen sage ich übrigens manchmal, dass Bücher von cis Männern, zumindest die von weißen, eben ohnehin Mängelexemplare sind, weil sie von weißen cis Männern sind und es ihnen fast garantiert an meiner Lebensrealität oder irgendetwas über der von weißen cis Männern hinaus mangelt. Und ich meine das ernst. Wieso sind es eigentlich immer dieselben, die das Privileg bekommen, überall abgebildet zu werden?
Unser Leseverhalten hat Macht. Macht euch doch auch einmal Gedanken darüber, wie ihr diese Macht so einsetzt.