Ein Plädoyer zum Abschalten.
Triggerwarnung: BDSM-Content, Übergriffigkeit/Vergewaltigung, Transfeindlichkeit
Begriffserklärungen
BDSM – Bondage, Discipline/Dominance, Submission/Sadomasochism, Masochism – Sexuelle Praktiken, wie Fesseln, Dominanz und Unterwerfung, Schmerzen zufügen, etc.
SSC – Safe, Sane, Consensual – Sicher, Vernünftig, Einvernehmlich
BDSM – neuer Mainstream?
50 Shades of Grey hat vor einigen Jahren für viele Kontroversen gesorgt. Aber auch eines erreicht: über BDSM-Praktiken zu reden ist immerhin ein bisschen salonfähiger geworden. Nun hat das Buch zwar nicht viel mit konsensualem BDSM zu tun, sondern erzählt stattdessen von Stalking, Kabelbindern (nicht safe, da sie sich unkontrolliert zuziehen können) und Seidenkrawatten (gleiches Problem wie Kabelbinder), aber immerhin gab es danach BDSM-Spielzeug nicht nur in speziellen Fetischläden zu kaufen.
Merchandising hin oder her. Ich vermisste weiterhin die echte Repräsentation von BDSM in Medien (Filmen, Serien, Büchern). Was stattdessen auf den deutschen Buchmarkt schwappte: Geschichten mit toxischen Beziehungen und Beziehungsgefällen (er reich – sie arm, er Geschäftsmann – sie naive Studentin…), immer gepaart mit dunklen Geheimnissen, die irgendein Verhalten entschuldigten, aber wirklich nie etwas mit safe, sane und consensual (ssc) zu tun hatten – dem Grundsatz von BDSM. Wer BDSM praktiziert, macht das im Einverständnis aller Beteiligten. Punkt. Alles andere ist Übergriffigkeit, Körperverletzung und im schlimmsten Falle eine Vergewaltigung (natürlich gilt Konsenz für jede körperliche Berührung, Umarmung und alle sexuelle Handlungen. Mit BDSM kommen zum Teil Spielarten hinzu, wo es besonders wichtig ist, vorher über eigene Grenzen, Vorlieben und Tabus zu sprechen.)
Anmerkung Körperverletzung: Es gibt BDSM-Praktiken, die zu Körperverletzungen wie blauen Flecken, Wunden etc. führen. Das ist rechtlich natürlich eine Straftat. Passiert es im gegenseitigen Einvernehmen, bleiben im Regelfall alle Beteiligten unter sich und es kommt zu keiner Strafanzeige.
BDSM-Repräsentation in den Medien
Zurück zur Repräsentation in den Medien: Nach 50 Shades kam also… nichts mehr zu BDSM, das es in den Mainstream geschafft hätte… bis jetzt.
In diesem Monat ist die Serie Bonding auf Netflix erschienen und erzählt aus dem Leben einer Domina, die ziemlich spontan ihren schwulen Freund zu ihrem persönlichen Assistenten ernennt.
Der Trailer ist bereits voller Klischees über BDSM (Lederkleidung, pinke Wände im Domina-Studio, O-Halsband – fälschlicherweise von der Domina getragen (Anmerkung: Ein O-Halsband ist ein Hilfsmittel, um zum Beispiel Seil an dem Halsband zu befestigen und wird üblicherweise von passiven/submissiven Menschen und nicht aktiven/dominanten getragen…)), aber vor allem stellt auch er eines auf den Kopf: den Consent. Übersetzt heißt es da vom Assistenten: „Warum erzählst du mir nie was?“ und Mistress May, die Hauptprotagonistin und eben Domina, erwidert: „Wenn ich dir vorher erzählen würde, was wir gleich tun werden, würdest du es nicht tun.“ Das ist KEIN Consent und widerspricht allen Regeln einer sicheren BDSM-Praktik.
Nachdem der Trailer also bereits problematisch ist, kann die Serie natürlich nicht mehr unproblematisch sein. Und damit auch nicht sehenswert.
5 wesentliche Gründe, die gegen Bonding sprechen
Wer noch mehr Gründe braucht, warum Bonding nichts mit BDSM, ernsthafter Sexarbeit, Seilkunst/Fesslungen (Bondage) zu tun hat, hier noch weitere 5 Gründe:
- Die Fesslungen, die gezeigt werden, funktionieren entweder gar nicht oder sind viel zu gefährlich (es gilt: keine Nerven strangulieren, Körperteile sofort von Seil befreien, sobald sie kalt werden – und nicht: immer noch fester zuziehen!, Seile so binden, dass sie sich nicht selbst zuziehen; immer eine – im Idealfall – Rettungsschere zur Hand haben, um Seil sofort durchschneiden zu können.)
- Die Serie reproduziert Transfeindlichkeit (da heißt es zum Beispiel „würde nur einmal ein Mann seine Periode bekommen…“ – Richtig ist: alle Menschen mit Uterus können menstruieren! Das können u.a. sein: cis Frauen, trans Männer, nicht-binäre Menschen mit Uterus)
- Der Assistent wird zu Dingen gezwungen, die er freiwillig nicht machen möchte…
- … und die er auch vorher nicht erklärt bekommt. – Das wiederholt sich bei zahlreichen Aufträgen von Mistress May. Sei es, dass er Dinge anziehen muss, die er nicht will, oder auch Praktiken durchführen, die ihm weder bekannt sind noch mit denen er eigentlich konfrontiert sein möchte (zum Beispiel von einem Kunden aufgefordert werden, ein Pinguin-Kostüm zu tragen und darin einen Wrestling-Kampf zu vollführen, um nicht wieder das Beispiel aus dem Trailer zu nehmen)
- Kund*innenwünsche werden missachtet: Da ist zum Beispiel ein cis männlicher Kunde, der heterosexuell ist. Trotzdem wird der schwule Assistent mit in das BDSM-Spiel einbezogen. Auch das ist übergriffig und respektiert nicht die Vorlieben des zahlenden Gastes.
Comedy vs. SSC
Ganz viele Menschen werden die Serie als Comedy sehen und das an sich ist kein Problem. Aber sie hat nichts mit echter Sexarbeit zu tun, wo Sexworker*innen sehr genau auf ihre Kund*innen-Wünsche eingehen und Grenzen respektieren ebenso nichts mit BDSM, der im Konsens praktiziert wird.
Und ich höre Unkenrufe die sagen „aber es ist halt Comedy, nimm das nicht so ernst“. Und ich kann nur erwidern: Doch, denn es geht um Repräsentation, um Aufklärung und im Umkehrschluss: um Sensibilisierung für ein schwieriges Thema, das so schnell und immer wieder Nachahmer*innen findet. Wie schnell ist gesagt: Lass uns das doch auch mal ausprobieren, weil es so lustig aussieht? Und dann fehlt es an Aufklärung und Sicherheit, die Bonding definitiv nicht hergibt.
Ganz im Gegenteil: die Serie ist gefährlich wie es auch 50 Shades schon war. Es bleiben Sexpraktiken, die gezeigt werden, aber in der Umsetzung lebensgefährlich sind. Damit versaue ich euch vielleicht den Spaß, aber ich wiederhole mich gerne: BDSM-Praktiken können lebensbedrohlich sein, erst recht, wenn sie so gezeigt werden wie in Bonding (oder so erklärt werden wie in 50 Shades of Grey).
Und noch eines sei gesagt: Sexpraktiken zu persiflieren ist genau das Gegenteil von Respekt und Akzeptanz. Ja, es gibt Menschen, die in Tierkostümen (als Beispiel) rumlaufen und das ziemlich geil finden. Und das ist voll in Ordnung. Die Serie macht es allerdings schwer sich vielleicht mal bei Freund*innen zu outen, denn bei eigenen sexuellen Vorlieben geht es nicht um den Lacher am Abend. Und das ist auch Bonding nicht. Selbst, wenn die Episoden kurzweilig angesetzt sind, bleibt nur eins nach nicht mal 15 Minuten: abschalten oder umschalten – zum Beispiel zu „Secret Diary of a Callgirl“. Hier erzählt eine Escort-Begleitung aus ihrem Alltag – mal sensibel, mal humorvoll und manchmal auch über BDSM-Praktiken. (Sidenote ohne zu spoilern: für alle Doctor Who-Fans gleich doppelt sehenswert! Einige der Darsteller finden sich in der Serie wieder.) Aber eines nie: übergriffig ihren Kund*innen und Freund*innen gegenüber.
Wer sich mit Bonding und/oder BDSM noch mehr beschäftigen möchte, folge diesen Links und Tipps
Weitere Verrisse der Serie (alle auf Englisch)
https://paperview.substack.com/p/bdsm-isnt-torture-but-bonding-sure
Twitter-Thread, geschrieben von einer Sex-Workerin, nachdem der Trailer veröffentlicht wurde: https://twitter.com/laceyplaces/status/1121139742773579786?s=21 plus weitere Antwort von ihr auf negative Reaktionen: https://twitter.com/laceyplaces/status/1122128118834061312?s=21
Empfehlenswerte Informationen zu (SSC-)BDSM-Praktiken
Bondage
The Knotty Boys: https://www.amazon.de/B002IYX8ZK-Kindle-Shop/s?k=B002IYX8ZK&rh=n%3A530484031 (Bücher, Englisch)
Matthias T. J. Grimme https://www.amazon.de/Das-Bondage-Handbuch-Anleitung-einvernehmlichen-Fesseln/dp/3931406717 (Buch, Deutsch)
BDSM, allgemein
Matthias T. J. Grimme https://www.amazon.de/SM-Handbuch-aktualisiert-erweitert-Black-Label/dp/3931406806 (Buch, Deutsch)
Kathrin Passig und Ira Strübel: https://www.amazon.de/Die-Wahl-Qual-Handbuch-Sadomasochisten/dp/3499624087 (Buch, Deutsch)