Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der sozialen Zuschreibung „Frau“, wie sie Cis-Frauen erfahren. Selbstverständlich sehen sich auch andere, trans Männer wie trans Frauen, Enbys und alle in dem breiten Spektrum zwischen Mann und Frau von solchen sozialen Konstrukten beeinflusst. Da die Autorin selbst cis ist, kann sie dazu leider keinen authentischen Einblick liefern.
Es gibt Menschen, die glauben, Chromosomen wären für die Einteilung in männlich und weiblich verantwortlich. Jede*r, der halbwegs im Biounterricht aufgepasst hat, sollte wissen, dass die Natur wesentlich mehr genetische Kombinationen kennt als XX und XY. Auch der Phänotyp, also das Aussehen, die Entwicklung von sogenannten primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen, können gar keine Aussage machen. Menschen werden ohne Penis und ohne Uterus geboren – oder mit beidem. Dass Kinder immer noch nach der Geburt einem Geschlecht zugerechnet werden liegt nicht etwa an einer biologischen Notwendigkeit, sondern vielmehr an unserer Gesellschaft. Namen und Kinderkleidung, Babydeckchen und Spielzeug – alles wird auf das binäre Geschlechtersystem ausgelegt.
Die echte Frau?
Dabei scheint die Gesellschaft ziemlich genau zu wissen, wie sich welches Geschlecht denn bitte zu verhalten hat. „Du bist ja gar keine echte Frau“, sagte mir erst vor kurzem mein Bruder. Es ging um Modebewusstsein oder aufgeregtes Hin- und Hergehüpfe bei Freude, irgendwelche Annahmen, die im Allgemeinen Frauen und anderen weiblich gelesenen Menschen zugesprochen werden. Irgendetwas, das auf mich jedoch nicht zutrifft. Ich aber bin eine Cis-Frau und habe, als die Sprache auf diese stereotypen Zuschreibungen kam, mit mir als Beispiel widersprochen. „Du bist ja gar keine echte Frau“, war die Antwort. Ich höre den Satz immer mal wieder. Und immer von Sexisten, die behaupten, eine Frau bräuchte einen Uterus, lange Haare und einen Mann an ihrer Seite, um eine Frau zu sein.
„Du bist ja gar keine echte Frau“, wird dabei zu etwas, das gleichzeitig beleidigt und als Kompliment gemeint ist. Denn Frauen, so diese alltagssexistische Sicht, sind oberflächliche Wesen, zu vernünftigen Gedankengängen gar nicht in der Lage und brauchen einen starken Mann, dass sie ohne ihn weder eine Spinne aus dem Badezimmer tragen noch eine LED austauschen können. Ganz im Sinne der Aufklärung, die Frauen der Natur zuordnete, und Sigmund Freud, der zur Jahrhundertwende so ziemlich die gleiche Meinung vertrat. Es hat sich nicht viel getan. In diesem einfachen Satz, der immer dann angebracht wird, wenn sexistische Reden geschwungen und dann als falsch enttarnt werden, steckt ein ziemlich klares, unveränderliches Bild dessen, was „Frau“ nach patriarchischer Sicht denn bitte sein soll.
Ende mit der Unsichtbarkeit
Wenn ich aber gar keine echte Frau bin, was bin ich dann, frage ich. Denn natürlich lassen diese Menschen nichts neben der binären Geschlechtervorstellung zu. Ich werde aber zur Nicht-Frau. Eine Leerstelle. Anstatt das eigene Frauenbild zu überdenken, werden Frauen, die ihm nicht entsprechen, ausgeklammert. Frauen, die ohne Uterus geboren werden, Frauen, die mit Penis geboren werden, Frauen, die keine Angst vor Spinnen (oder Gewittern oder sonst was haben), Frauen, die mit drei Paar Schuhen glücklicher sind als mit vieren, Frauen, die keine Kinder wollen, Frauen, die mit Mode so viel anfangen können wie mit der Tiefenstruktur von Toilettenpapier. Ich übertreibe? Nein, die Liste ist noch gar nicht lang genug, denn in die gesellschaftliche Vorstellung „Frau“ passen maximal 5% aller Frauen und weiblich gelesenen Menschen hinein, wenn überhaupt.
Ein Satz wie „Du bist ja gar keine richtige Frau“ nimmt Frauen ihre Individualität. Er drängt sie in einen Rahmen, der nicht übertreten werden darf, auf gar keinen Fall. Sie werden klein gehalten, erniedrigt und außerhalb dieser Vorstellung als unweiblich wahrgenommen, einen Teil ihrer Identität beraubt und zu Unsichtbaren. Würden wir den #notallmen-Typen mit „ihr seid ja gar keine richtigen Männer“ antworten, wäre die Reaktion mit Sicherheit spannend. Viel schöner wäre aber neue und vielseitigere Bilder von Frausein zu verbreiten und den Rahmen zu sprengen.