Jeden Monat erscheinen ein halbes Dutzend neuer Serien und Filme oder neue Staffeln bestehender Serien. Das kann ganz schön überfordern in der heutigen Zeitökonomie. Vieles davon ist auch noch ziemlicher Mist und/oder schädlicher Kackscheiss. Deswegen wollen wir euch bei der Auswahl etwas helfen und euch immer wieder mal die Sachen ans Herz legen, von den wir glauben, dass ihr sie anschauen solltet. Heute geht es um die Serie “One Day At A Time” (ODAAT).
“One Day at a Time” ist eine Comedy-Serie im klassischen Sitcom-Format. Die Eigenproduktion von Netflix ist ein Reboot der gleichnamigen Serie, die von 1975 bis 1984 auf CBS ausgestrahlt wurde. Die ursprüngliche Serie wurde von Whitney Blake und Allan Manings kreiert und basierte auf Whitney Blakes eigenem Leben als alleinerziehende Mutter dreier Kinder. In der Neuauflage geht es um den Alltag einer kubanisch-amerikanischen Familie: Penelope Alvarez (Justina Machado), eine Veteranin des United States Army Nurse Corps, steht nach ihrer Rückkehr ins Zivilleben vor vielen Herausforderungen. Um ihre Familie zu versorgen arbeitet sie als Krankenschwester im Büro von Dr. Leslie Berkowitz. Von Victor, dem Vater ihrer Kinder, hat sie sich getrennt, nachdem sein Alkoholismus hervorgerufen durch eine posttraumatischen Belastungsstörung aus seiner Zeit in der Armee ihn immer aggressiver gegenüber sich und anderen werden ließ. Mit Hilfe ihrer kubanischen Mutter Lydia, die ebenfalls in der Wohnung lebt erzieht sie die beiden Teenager Elena (Isabella Gomez) und Alex (Marcel Ruiz).
Was “One Day At A Time” so faszinierend wie wertvoll macht, ist die kongeniale Verbindung aus Sitcom-Unterhaltung und sozialkritischen Themen. Allein das Feld “alleinerziehende Mutter” wird immer wieder neu beleuchtet, wenn es darum geht, wie Penelope für ihre Familie sorgt, ihre eigenen Bedürfnisse und Träume hat und selbst mit den Nachwirkungen ihrer Zeit als Soldatin zu kämpfen hat. Hinzu kommt der Faktor der drei Generationen von kubanischen-stämmigen Menschen in den USA. Großmutter Lydia (gespielt von der Ikone Rita Moreno) kann ihre alte Heimat Kuba nicht so recht loslassen und sich mit dem Gedanken anfreunden, dass die USA nun ihre Heimat ist. Direkt in der ersten Folge wird das Thema Rassismus gegenüber LatinX behandelt, denn der jüngste der Alvarez-Familie, Alex, berichtet von Beschimpfungen in der Schule. Auch die vielen Formen von Sexismus werden in den bisher erschienen 3 Staffeln auseinander genommen, sei es am Arbeitsplatz von Penelope oder auf der Straße. Dabei spielt die ältere Tochter Elena eine große Rolle, denn sie ist glühende feministische Aktivistin.
Im kleineren Kosmos geht es viel um das Thema “Familie” und auch hier trifft “ODAAT” starke und wichtige Punkte. Einerseits ist der Zusammenhalt unter Verwandten wichtig, andererseits bedeutet Familie mehr als das. An der Figur des aus Kanada eingewanderten Vermieters Schneider, der anfangs als unreflektierter Rich-Boy erscheint, wird deutlich, dass Familie auch mehr sein kann als Verwandtschaft. Gleichzeitig zeigt sich, dass Verwandte auch schädlich für einen sein können. Gerade das Verhältnis zwischen Elena und ihrem Vater Victor verdeutlicht das.
Darüber hinaus bietet “ODAAT” aber noch mehr. Wenn man hinter die Kulissen schaut, sieht man, dass die Serie eine Latina-Showrunnerin, Gloria Calderón Kellett, sowie (bisher) acht Autor*innen und sechs Regisseur*innen hat. Das ist in Hollywood nahezu einzigartig. Auch sind ein Großteil der Hauptdarsteller LatinX, genauso wie viele der Gaststars. Repräsentation zeichnet die Serie aber auch in anderen Aspekten aus, denn die Serie ist auf wunderbare Weise queer und bringt endlich auch nicht-binäre Personen in der Serienwelt stärker in den Fokus. Mehr noch, in der zweiten und dritten Staffel wird auch die unterschiedliche Ausprägung von Queer Culture und deren Stereotypisierung verhandelt.
Und es hört hier nicht auf, denn “One Day At A Time” widmet sich fortlaufend der Thematisierung von chronischen Krankheiten und mental health. Alkoholismus spielt wie bereits erwähnt eine Rolle, nicht nur bei Viktor. Ebenso geht es um Dinge wie Depression oder Angststörungen, die wie alle Themen nachvollziehbar und entstigmatisierend dargestellt werden.
Uff, das ist ganz schön viel für eine Serie und klingt nach hartem Tobak. Aber genau hier liegt die große, große Stärke der Serie: Durch das Comedy-Genre wird alles unterhaltsam aufbereitet, mit Selbstironie, Slapstick und vielen schlagfertigen Dialogen ohne nach unten zu treten. Anders als in vielen anderen Produktionen werden ernste Momente auch nicht ständig durch plötzliche Witze oder One-Liner gebrochen sondern dürfen stehen bleiben. Es fühlt sich auch nie an, als würden die Themen in einzelnen Episoden abgehandelt. Zwar haben manche Episoden einen Schwerpunkt aber die Themen treten eben fortlaufend auf, da sich das meiste nicht mit einfachen Antworten lösen lässt. So ergibt sich eine hervorragende Mischung, die einen schnell vereinnahmt und die Figuren ins Herz schließen lässt.
Natürlich ist die Serie nicht perfekt. Sie ist sehr, SEHR amerikanistisch. Gerade am Ende der zweiten Staffel wird das deutlich, wenn es um die anerkannte Einwanderung geht. Das Thema Militärdienst wird eher unkritisch, patriotisch dargestellt, trotz der schwerwiegenden Folgen für Victor und Penelope.
Alles in allem ist “One Day at a Time” aber ein echtes Unikat, das viel mehr ist, als die Summe ihrer Teile. Im Laufe der drei Staffeln hat die Serie bewiesen, dass TV in der Lage ist, charaktergetriebene Subtilität und das Bewusstsein für aktuelle gesellschaftliche Fragen mit pointiertem Humor zu verbinden.
Umso tragischer war die Ankündigung von Netflix, “ODAAT” nach drei Staffeln einzustellen. Bereits die zweite Staffel stand auf der Kippe und nur durch den enormen Einsatz der Schauspieler*innen und Fans gab es grünes Licht für eine dritte Staffel. Mittlerweile gibt es jedoch gute Nachrichten: Der TV-Sender CBS kauf die Rechte der Serie von Netflix und produziert für ihre Pay-TV Sparte POP eine vierte Staffel. Die Zeit ist also perfekt, um die Serie zu entdecken. Ihr werdet es nicht bereuen.