Ich befinde mich in einem dynamischen Dreieck.
Links unten steht mein Queerfeminismus, der mir sagt: Queer heißt nicht nur Regenbogen und happy Love Stories sondern queer ist es vor allem dann, wenn es cis hetero Menschen unangenehm ist.
Rechts unten steht meine trans Feminität, die mir sagt: Ich möchte noch so viel ausprobieren, ich will mich in all den klassisch weiblich gelesenen Dingen ergehen. Ich möchte eindeutig als Frau erkannt und so behandelt werden.
Oben in der Mitte steht mein ureigenes Bedürfnis nach Gemütlichkeit und Wohlbefinden, das mir sagt: Puh, die beiden da unten sorgen für Stress und nervliche Belastung und das ist alles so aufwendig und anstrengend, lass mal lieber sein.
Theorie alleine reicht nicht
Doing Gender und Gender als Performance sind Konzepte, die ich für sehr nachvollziehbar halte. Dabei wird Gender als ein Produkt performativer Zuschreibungen verstanden. Also im weitesten Sinne Handlungen und Muster, die eher maskulin, feminin oder uneindeutig gelesen werden. Damit grenzt sich der Ansatz von der lang geglaubten Vorstellung des binären biologischen Geschlechts, als eine rigide und eindeutig zuordenbare Eigenschaft ab. Also kurz: Es gibt keine angeborenen typischen Handlungen oder Muster für Frauen oder Männer. Das wurde in kulturvergleichenden Studien untersucht und belegt. Der Fokus bei Doing Gender wird darauf gesetzt, den eigenen Anteil an der Definition von Geschlechtsidentität und Geschlechtsidentifizierung als bestimmend zu betonen. Eine wichtige Rolle spielen dabei soziale Interaktionen, in denen Gender dargestellt und wahrgenommen wird. Gender als Performance fügt der Sache noch den Sprechakt hinzu, also die Macht des Wortes, die ebenso Gender jenseits von Binarität (de)konstruieren kann.
Allein, in der Praxis bringen mich diese Konzepte immer wieder in einen Konflikt: Wie kann ich gleichzeitig für die Anerkennung meiner Weiblichkeit kämpfen und die Auflösung genau dieser Weiblichkeit postulieren?
Klar, ich kann antworten: Das Eine schließt das Andere nicht unbedingt aus. Aber im Alltag ist diese einfache Antwort nicht praktikabel. Denn ich bin abhängig von vielen anderen Akteuren um ein eigenständiges Leben zu führen. Und der oft beschworene Kontext ist für mich nicht zu jeder Zeit herstellbar.
Nicht genug von nichts?
Seit meinem Outing und meiner Transition sind zwar einige Jahre vergangen und die Gesellschaft hat sich etwas gewandelt. Aber in vielen Bereichen ist es für viele Entscheider*innen immer noch ein zu großes Risiko eine trans Person zu beschäftigen. Natürlich war die offizielle Ablehnung bei Bewerbungen nie “Sie sind trans, das geht für uns nicht” – das wäre eindeutig diskriminierend und justiziabel. Aber durch die Blume und in Anbetracht der Personen, die genommen wurden, ist es doch recht deutlich. Zum Verständnis: Nach meinem Studium habe ich PR und Öffentlichkeitsarbeit gelernt, aber eine sichtbare trans Person als Pressesprecherin? Das war dann doch zu heikel, egal wie gut meine bisherigen Referenzen, meine mitgebrachten Konzepte und mein positiver Eindruck im persönlich Gespräch war. Mittlerweile arbeite ich einem anderen Bereich, in dem ich kaum nach außen sichtbar bin. Dennoch frage ich mich in beruflichen Situationen oft, ob ich femme genug aussehe. Vielleicht doch eher ein Kleid statt dem Hosenanzug? Mehr Makeup als nur Concealer und Mascara? Freunde und Familie fragen mich immer wieder, ob ich nicht mal Schmuck ausprobieren will.
Boah ist das anstrengend, stöhnt meine Gemütlichkeit auf. Lass mal lieber weite Klamotten anziehen, ist doch viel angenehmer. Außerdem hasse ich Schmuck, der bloße Gedanke daran, bereitet mir ein unangenehmes Gefühl auf der Haut. Je mehr Makeup ich nutze, desto mehr fühle ich mich wie eine Barbie Puppe. Hinzu kommt, dass ich das einfach nicht gut kann. Ich weiß weder welche Farbpaletten zu mir passen noch wie ich das so hinbekomme, dass es halbwegs ordentlich aussieht.
Das musst du auch gar nicht machen, lass dir von der Gesellschaft nicht solche Zwänge aufdrücken, poltert mein Queerfeminismus. Jeder Mensch soll für sich selbst und ohne Druck entscheid, ob sie*er Makeup oder Schmuck tragen will. Jaja, ich weiß, Makeup is your warpaint und so. Aber halt nicht für mich. Dafür mag ich Nagellack mittlerweile ganz gern, wirft meine trans Feminität ein. Reicht das? Uh, schon wieder sowas Zeitaufwendiges, grummelt mein Wohlbefinden.
Alltag am Arsch
Aber Arbeit ist nur ein Teil des Problems. Im ganz banalen Alltag gibt es zahlreiche Dinge, die mich aufreiben. Körperbehaarung (gerade im Sommer) ist ein großes Problem für mich. Rasiere ich die Beine?
Nein, sagt mein Wohlbefinden, ist viel zu viel Arbeit und hält ja nichtmal einen Tag lang an.
Ja, sagt mein trans Feminität, hilft gegen die Dysphorie und für das Passing.
Ja, kannst du schon machen, sagt mein Queerfeminismus, aber dann unterstreichst du den patriarchalen Standard der Ästhetik. Das ist wie beim ironisch Schnurrbart tragen. Die Ironie sieht man nicht, den Schnurrbart schon.
Und es geht natürlich über Äußerlichkeiten hinaus. In jedem Kontext, in dem ich auf Menschen treffe, sei es auf Partys, bei Freund*innen oder in einer Kneipe, ist es da, das Dreieck. Ich besitze ein eher voluminöses Sprechorgan und die Klangfarbe meiner Stimme ist nicht eindeutig. Hinzu kommt, dass ich über die Hälfte meines Lebens vordergründig in Jungs-Cliquen sprachlich sozialsiert wurde. Dieses Potpourri an Faktoren führt dazu, dass was und wie ich es sage, seltsam wirken kann. Einmal scherzte ich mit zwei anwesenden Männern laut und grob (nicht: sexistisch), sodass die neben mir sitzende Frau mir flüsternd die Frage stellte, ob ich mir mit “meiner Sache” denn wirklich sicher sei.
Tja.
Rede nicht so laut und so derbe, stimmt da meine trans Feminität zu, du wirkst sonst zu männlich. Und sitz gefälligst aufrecht und nicht so zusammengesunken. Quatsch, sagt mein Queerfemnismus, du redest wie und was du willst und außerdem ist es wichtig, dass du als marginalisierte Person auch Raum einnimmst und Sprachklischees durchbrichst. Sag lieber nichts mehr und am besten bleibst du das nächste Mal gleich ganz zu Hause, seufzt mein Bedürfnis nach Gemütlichkeit, da kannst du rumlungern wie du willst und musst mit niemandem sprechen.
Uff.