[Ein Artikel von mehreren FoS Autor:innen]
Vor kurzem wurde das offizielle Motto des Christopher Street Day (CSD) in Köln bekannt: „Einigkeit. Recht. Freiheit.“
„Der Kölner Lesben- und Schwulentag (KluST) hat am Samstag auf dem queeren Wiehnachtsmarkt Heavenue „Einigkeit! Recht! Freiheit!“ als CSD-Motto für das Jahr 2020 vorgestellt. Der aus der dritten Strophe der deutschen Nationalhymne ausgeliehene Spruch sei „“Denkanstoß, Mahnung, Ausdruck von Wertschätzung und Forderung“ zugleich, teilten die Organisatoren des größten deutschen CSDs mit.“ [sic!] (Quelle: Queer.de, Neues Motto: CSD Köln orientiert sich an Nationalhymne)
Das Motto
„„Einigkeit! Recht! Freiheit!“ steht für gemeinsame Werte aller Menschen in diesem Land“, heißt es weiter. „Diese Werte sind die Grundlage für ein diverses, offenenes und friedliches Miteinander“.“ (Quelle: Queer.de, Neues Motto: CSD Köln orientiert sich an Nationalhymne)
So weit, so utopisch. Sicher, in Diktaturen und autoritären Regimes steht es deutlich schlechter um die Rechte von Queers als in der demokratischen Bundesrepublik. Das bedeutet im Umkehrschluss allerdings nicht, dass hier alles so paradiesisch ist, dass man sich gleich anbiedernd die Nationalhymne auf die (bunten/Regenbogen-) Fahnen schreiben muss.
Die Ausrufezeichen hinter den einzelnen Worten „. (…) sollten nämlich verdeutlichen, es seien „nicht verhandelbare Forderungen“. Die CSD-Veranstalter[:innen] stellen klar: „Wir feiern nicht Deutschland. Wir nehmen das Jubiläum zur Deutschen Einheit zum Anlass, diese Worte für uns zu interpretieren und mit unseren Forderungen zu versehen.““ (Quelle: Welt.de)
Der CSD wird in der breiten Öffentlichkeit allgemein vor allem als Party homosexueller Menschen, vornehmlich homosexueller cis Männer, wahrgenommen. Die offiziellen Motti und Forderungen gehen in der Berichterstattung generell unter, von den Forderungen anderer queerer Communities ganz zu schweigen. Und da sollen Satzzeichen ein deutliches Zeichen sein?
Das Motto „Einigkeit! Recht! Freiheit!“ ist offiziell der deutschen Nationalhymne entlehnt. Nun mag man dieser gegenüberstehen wie man möchte, aber sich die gesungenen Insignien eines Landes für ein Motto auszusuchen, das die gewollte Zielgruppe immer noch vielfach diskriminiert, ausschließt, wie kranke Menschen und Menschen zweiter Klasse behandelt, geht völlig am Ziel vorbei.
Wie gesagt, für queere Menschen ist es deutlich angenehmer in Deutschland zu leben als in einigen anderen Ländern. Dennoch negiert das gewählte Motto die Realität.
Einigkeit?
Die Forderung der Einigkeit müsste sich eigentlich erstmal nach innen, in die LGBTIQA+ Szene selbst richten. Ich wurde nirgends so oft diskriminiert, mir wurde nirgends so oft meine Sexualität und deren Validität abgesprochen wie von Mitgliedern der queeren Szene.
Als ich in der Oberstufe sagte, ich sei bisexuell, bekam ich von einem lesbischen Pärchen zu hören, ich würde das nur sagen, weil das irgendwie gerade alle seien. Jahrelang sagte ich daraufhin, ich sei eine „Hete, die gerne Frauen knutscht“. Irgendwann saß meine beste Freundin in einer Kneipe vor mir und meinte völlig verwirrt „Du knutscht gerne Frauen? Du hast Sex mit ihnen? Du verliebst dich in sie? Schatz, aber du bist sowas von bi!“ Später las ich von Pansexualität, was deutlich besser passte, aber das ist eine andere Geschichte.
Worum es mir geht: ich höre so oft von queeren Menschen, dass sie von anderen Queers diskriminiert werden, weil sie nicht homo, bi, pan, trans, inter, enby, gender non-conforming, blubb genug seien, dass ich Magenschmerzen bekomme.
Ich habe es auch sehr deutlich auf dem CSD Hamburg dieses Jahr gemerkt, wo kleinere queere Gruppen einerseits zwar Gehör finden sollen, von den Teilnehmenden aber auch gerne ignoriert und übergangen werden: „Wer Fotos von und mit Kostümierten oder anders außergewöhnlich Gekleideten machen wollte, dem war es dementsprechend auch egal, dass andere Gruppen behindert und der ganze Zug aufgehalten wurde. Das Selfie mit dem bunten Schwulen in Glitzermantel und die eigene Demonstration der achso tiefen Toleranz für die LGBTQ*-Community ist wichtiger als die direkt dahinter laufenden trans und enby Aktivist*innen mit ihrem Transparent und ihren Forderungen. Diese Ignoranz gegenüber der Anwesenheit anderer [mehrfach] marginalisierter Gruppen und dem Fakt, dass der CSD eigentlich eine Demonstration ist und kein Karnevalsumzug, relativiert die Relevanz dieser kleineren Gruppen, reproduziert dadurch das Unsichtbarmachen von marginalisierten Menschen, zeigt eine fast aggressive Gleichgültigkeit gegenüber ihren Ansprüchen.
(…)
LGBTQ* sind insgesamt marginalisiert, egal wie sehr einige Gruppen inzwischen gesellschaftliche anerkannt sind. Manche queere Gruppen wie trans und enby Personen, A- und Pansexuelle haben in ihrem politischen Kampf jedoch noch nicht so viel Akzeptanz erreicht. Dass solchen Bündnissen ausgerechnet auf dem CSD von eigentlich Gleichgesinnten und/oder Allys Raum streitig gemacht wird, ist frustrierend und entmutigend und zeigt, dass die Gleichgültigkeit und die Diskriminierungen untereinander bzw. gegenüber schwächeren/kleineren LGBTQ*-Gruppen unbedingt breiter diskutiert werden muss.“ [Sic!] (Quelle: Crow and Kraken)
Recht?
Auch wenn sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten viel im rechtlichen Bereich für queere Menschen getan hat, es reicht noch lange nicht. Viele Gesetze sind immer noch exkludierend und diskriminierend. Hier eine kleine, nicht vollständige Übersicht über einige rechtliche Situationen. Wenn ihr zu einem Aspekt mehr lesen möchtet, klickt auf „weiterlesen“ , der restliche Text klappt sich aus. Keine Zeit oder Lust? Einfach weiterlesen.
Ehe für alle
Als im Juni 2017 der Gesetzesentwurf zur „Ehe für alle” durch eine mehrheitliche Abstimmung verabschiedet wurde, , war die Freude groß, es wurde gefeiert und viele gleichgeschlechtliche Paare haben sich nach Jahren endlich offiziell das Ja-Wort geben können oder konnten ihre bis dato eingetragene Lebenspartnerschaft zu einer rechtmäßigen Ehepartnerschaft umtragen lassen.
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Dass dieser Gesetzesentwurf bis zu einem endgültigen Beschluss mehr als 30 Mal vertagt wurde, und die Partei Bündnis 90, die Grünen so viel Druck ausgeübt haben (durch Einreichung einer Verfassungsklage), dass es zu einer spontanen Abstimmung im Bundestag kommen musste, wird heute inzwischen gerne vergessen. Mit 393 Ja-Stimmen gegen 226 Nein-Stimmen und 1 Enthaltung (Abstimmungsergebnisse nach Partei sortiert, können hier nachgelesen werden), trat das Gesetz dann am 01.10.2017 in Kraft.
Doch auch, wenn die Ehe für Alle ein großer Schritt in die richtige Richtung war, gibt es immer noch jede Menge Probleme, die damit einhergehen: So sind beispielsweise Abstammungsrechte noch nicht geklärt (wer wird als „Mutter” und „Vater” eines möglichen gemeinsamen Kindes eingetragen? Die nicht leibliche Elternperson muss nach wie vor das Kind adoptieren und wird nicht als Elternteil in der Geburtsurkunde des Kindes eingetragen), so waren ein gutes Jahr nach Eintreten des Gesetzes Standesämter formal nicht darauf vorbereitet, dass es zwei Ehemänner oder -frauen geben kann, und schließlich sind auch nicht Ehen für wirklich alle möglich. So können nach wie vor nur zwei Personen offiziell heiraten, was andere Beziehungskonstrukte wie Polyküle und polyamore Beziehungsgeflechte weiterhin ausschließt.
Die dritte Option
Seit Ende 2018 ist es in Deutschland für intergeschlechtliche Personen, Hermaphroditen und Menschen, die weder Frauen noch Männer sind, möglich ihren Geschlechtseintrag in ihrer Geburtsurkunde von vorher binär männlich oder weiblich, positiv zu divers zu ändern, oder den Geschlechtseintrag auch offen zu lassen.
Die sogenannte dritte Option (was real eben vier sind: männlich, weiblich, divers und leer) wirkt sich sowohl auf das Personenstandsgesetz aus, als auch vor allem auf den Diskriminierungsschutz im Arbeitsleben. So ist es beispielsweise seit Januar 2019 Pflicht in Jobanzeigen alle Menschen aller Geschlechter anzusprechen, was problematischerweise meistens zu einer Rückkehr des generischen Maskulinum und der Klammerangabe (w/m/d) geführt hat. So werden einerseits wieder marginalisierte Menschen nur „mitgedacht” und andererseits ein falsches Bild einer Geschlechtszuweisung vermittelt. Menschen sind nicht „weiblich, männlich oder divers”, sondern eben (cis/trans) weiblich, inter, nicht-binär, und vieles mehr. Ein (w/m/x*) ist und wäre hier deutlich wünschenswerter und inklusiver gedacht.
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Um den eigenen Personenstand auf „divers” oder „leer” ändern lassen zu können, braucht es eine hausärztliche Bescheinigung, die eine „Variante der Geschlechtsentwicklung” attestiert. Das wurde von vielen Inter- und Transverbänden scharf kritisiert, denn hier wird ein Eintrag erneut an körperlichen Geschlechtsmerkmalen festgemacht, etwas, womit auch trans Menschen schon jahrelang zu kämpfen haben und hier explizit weiterhin ausgeschlossen werden.
Das Transsexuellen-Gesetz (TSG)
Seit 01. Januar 1981 gibt es in Deutschland das sog. Transsexuellen-Gesetz. Mithilfe dieses Gesetzes soll die Vornamensänderung und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit „in besonderen Fällen” geregelt werden.
Dieses Gesetz wurde seit Inkrafttreten mehrfach verändert, und oft zu Gunsten betroffener Personen verbessert (so kann bspw. ein Antrag auf eine Vornamens- und Personenstandsänderung heute auch ohne zwangsoperative Maßnahmen und Alterseinschränkung ab 25 Jahre gestellt werden und auch eine Zwangsscheidung nach einem offiziellen Outing ist seit dem Gesetzesbeschluss der „Ehe für alle” nicht mehr notwendig.).
Doch das Sondergesetz für trans Menschen sieht nach wie vor vor: Für eine Vornamens- und Personenstandsänderung braucht es zwei psychologische Gutachten und ein Gerichtsverfahren – alles auf eigene Kosten.
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Eine im Mai 2019 angestrebte Reform des TSG sah eine Beratung statt einer Begutachtung vor, im Klartext sollten sich trans Menschen also immer noch von Psycholog:innen und Ärzt:innen beraten lassen, dann erst eine Bescheinigung bekommen, mit dem sie das weiterhin bestehende Gerichtsverfahren hätten anstreben können.
In dem Reformentwurf auch enthalten: eine körperliche, sehr individuelle Begutachtung („trans ist nur, wer vom weiblichen oder männlichen Körperbild abweicht”), eine Anhörung der Ehepartner*innen innerhalb des Gerichtsverfahrens und bei Scheitern erst nach drei weiteren Jahren die Möglichkeit, erneut einen Antrag auf die eigene Namens- und Personenstandsänderung zu stellen. Selbst bestimmt sieht ganz anders aus. Eine Petition hat die Reform deshalb glücklicherweise stoppen und vertagen können.
Mit so einem Aufwand ist es kein Wunder, dass trans Menschen die Möglichkeit zur Änderung des Geschlechtseintrags nutzen, die durch die dritte Option nun besteht. Dazu braucht es weder teure Gerichtsverfahren, noch erniedrigende, demütigende und diskriminierende Fragen und (Ver-)Urteilungen von möglichen Therapeut:innen, sondern das Attest von Hausärzt:innen und einen Gang zum Standesamt.
Nun ist es aber personenabhängig, ob das Attest vor Ort im Standesamt akzeptiert wird (es gibt trans Personen, die dadurch inzwischen monatelang auf Rückmeldung warten) und auch das Bundesinnenministerium gab interne Richtlinien raus, um diesen deutlich leichteren Weg für trans Menschen weiterhin zu versperren.
So müssen offiziell intergeschlechtliche und trans Menschen weiterhin zwei verschiedene Wege gehen für ein und dasselbe Anliegen: eine selbst bestimmte Namens- und Personenstandsänderung.
Weitere Bereiche
Im Dezember 2019 wurde ein Gesetz verabschiedet, dass zukünftig sogenannte Konversationstherapien verbieten soll, die in Deutschland teilweise immer noch durchgeführt werden, um bestimmte nicht heterosexuelle Orientierungen zu unterdrücken oder zu verändern. Zum Schutz der eigenen, sexuellen Selbstbestimmung, wird auch Werbung und Aufklärung über solche Therapien zukünftig verboten sein.
Die katholische Kirche (Staat und Kirche sind gesetzlich oft noch miteinander vereint) darf weiterhin Menschen aus ihrem Dienst entlassen, wenn bekannt wird, dass sie eine nicht cis-heteronormative Lebensweise führen. Das stehe nämlich zum Widerspruch der kirchlichen Lehre. Möglich macht das in Deutschland das sog. Arbeitsrecht der Kirchen.
Queere Geflüchtete, die in ihrem Heimatland aufgrund ihrer Identität und/oder sexuellen Orientierung verfolgt und mindestens mit Gefängnis, wenn nicht mit dem Tod rechnen müssen, können sich nur selten auf ihre bspw. Homosexualität berufen, um als politisch verfolgte:r Geflüchtete:r zu gelten.
Freiheit?
Freiheit bedeutet, dass Menschen ihre Liebe offen zeigen können. Ohne Angst vor Beleidigungen, herablassenden Sprüchen, grenzüberschreitenden Fragen. Ohne Angst vor körperlicher Gewalt. Ohne Angst vor systematischer Diskriminierung. Ohne Angst vor Mehrfachdiskriminierung.
Das vom CSD Köln gewählte Motto ist ein Bekenntnis zu Deutschland. Es ist nationalistisch. Nationalismus macht aber auch immer Kategorien auf von „wir“ und „die anderen“. Das ist eine Kategorisierung, die wir in der queeren Szene nicht noch mehr brauchen.
Das Motto lädt geradezu ein, sich als deutsche Kartoffel zu inszenieren, nicht-cis-hetero hin oder her. Nur, weil man queer ist, heißt es nicht, dass man nicht auch diskriminierend sein kann.
Mit der Berufung auf Nation, der deutschen Nation, werden rechte Menschen und Nazis geradezu eingeladen, den CSD für sich zu okkupieren und zumindest teilweise zu instrumentalisieren. Mit diesem Motto werden nicht-deutsche Menschen, aber auch in Deutschland geborene BI_PoCs ausgeschlossen und Rassismus befördert, was dem rechten Spektrum einmal mehr in die Hände spielt.
Sicher, es gibt queere Nazis. Das heißt aber nicht, dass sie auf dem CSD etwas zu suchen haben. Auch wenn der CSD in den letzten Jahren immer mehr als Partyumzug denn als Demonstration wahrgenommen wurde, hatte er dennoch immer eine politische Botschaft, die eindeutig fortschrittlich ist: Mehr Rechte für für queere Menschen, mehr Freiheit, mehr gesetzliche Sicherheit. Rechte und Nazis stehen traditionell dagegen.
Nationalstolz und Patriotismus, die mit der Übernahme von Teilen der deutschen Nationalhymne befeuert werden, haben auf dem CSD und in der queeren Szene nichts verloren, trugen und tragen sie doch historisch und gegenwärtig zur Diskriminierung, Verfolgung und reaktionären Bewegung bei.
Um mal einen Blick in eine ebenfalls sehr gefeierte Szene, die Fußballwelt zu werfen: dort sorgte die Weltmeisterschaft in Deutschland 2006 zu einer „Endlich dürfen wir wieder stolz sein und es zeigen“-Haltung.
Deutschlandflaggen an Häusern, Autos und in Gesichtern sind seitdem während den internationalen Turnieren allerorts im Übermaß zu sehen. Das führte zu einem Wiedererstarken von Patriotismus und Nationalismus, einhergehend mit einem massiven Anstieg von rassistisch motivierten Übergriffen und anderen Straftaten. Und das aktuelle politische Klima spricht die gleiche, deutliche Sprache: Erstmal Deutschland und die Deutschen, wer nicht dazugehört (wer auch immer das definieren mag), gehört nicht hierher sondern raus aus Deutschland und Hauptsache weg.
Der CSD Köln beschreitet, sollte das Motto „Einigkeit! Recht! Freiheit“ bestehen bleiben, den gleichen Weg, und reißt mit dem Arsch ein, was LGBTIQA+ Gruppen in den letzten Jahren mühevoll aufgebaut haben.
Das Motto ist nicht tragbar für die queere Community. Es muss geändert werden.