„Ich fühl’s nicht“ – „Ich auch nicht, Frau Strömquist, ich auch nicht.“
Liv Strömquist ist Bestsellerautorin. Ihre Graphic Novels zu feministischen Themen werden von den Verkaufstischen gerissen und zur Kasse getragen, kaum dass sie erschienen sind. Ihre Werke „Der Ursprung der Welt“, „Der Ursprung der Liebe“ und „I am every Woman“ werden gelobt und erhalten allesamt durschnittliche Bewertungen von 4 bzw. 4,5 Sternen.
Ihrer neuesten Veröffentlichung „Ich fühl’s nicht“ geht es nicht anders: „Geniestreich“ und „Leseempfehlung“ sind nur zwei der Titel, mit denen das Buch bedacht wird.
Dummerweise sehe ich das anders. Also, so ganz anders.
Worum geht es eigentlich?
Grob in wenigen Sätzen zusammengefasst: Strömquist nimmt Leonardo DiCaprios Liebesleben, bestehend aus ständig wechselnden jungen Bikini-Models, als Aufhänger dafür, die Liebe und Liebesfähigkeit unserer Tage genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie zeigt, wie sich die Liebe und vor allem das Einlassen auf Gefühle und Verbindlichkeit seitens der cis Männer und in der Folge auch der cis Frauen in den letzten Jahrhunderten verändert haben und was der Kapitalismus damit zu tun hat.
So weit, so spannend.
Und wo ist das Problem?
Lassen wir mal außen vor, dass das Buch schrecklich binär ist. Strömquist geht grundsätzlich davon aus, dass alle Menschen unter dem Kapitalismus unfähig geworden sind, wahrhaft zu lieben. Niemand will sich mehr richtig auf den oder die andere einlassen, ständig wird verglichen, ob man nicht noch ein:e besser:e Partner:in bekommen kann. Das Bild von „die nächste Liebe ist nur einen Wisch nach rechts entfernt“ hat sich, so scheint es, in unser Verhalten eingebrannt.
Und es gibt einen glasklaren Schuldigen für diese gesellschaftliche Entwicklung! Richtig, es ist… der Psychologie-Trend.
Therapie-Bashing für Arme
Wait, what?
Richtig gelesen. Die „Verwissenschaftlichung aller gesellschaftlichen Prozesse und der Psychologie-Trend, der uns dazu anhält, uns selbst zu analysieren“ (S. 25) sind ungeheuer verwerflich, weil man nun sich als Subjekt in den Fokus stellt und erstmal sich selbst verstehen möchte. Dabei ist der „Therapie“-Trend, wenn man ihn so nennen möchte, erstens die Behandlung eines Symptoms des Kapitalismus, nämlich des Anstiegs auch von psychischen Krankheiten wie Depression und Burnout. Zweitens ist eine Therapie weder etwas Schlechtes noch etwas Verwerfliches. Dass hier gegen eine Hilfeform vorgegangen wird, die wie auch die Krankheiten, die sie behandelt, stark stigmatisiert ist, erwartet man von reaktionären Konservativen, die „stellt auch nicht so an“ und „ein echter Mann weint nicht“ predigen. Nicht von einer gefeierten feministischen Autorin.
Strömquist jedenfalls führt aus, dass die Menschen durch die „Verwissenschaftlichung“ und dem Drang, für alles Expert:innen zu befragen, die Fähigkeit verlieren, sich voll und ganz auf ein nicht erklärbares, nicht exakt bestimmbares Gefühl einzulassen: die Liebe. Durch diese Unfähigkeit wiederum zusätzlich dazu, dass man durch Therapie und Psychologie-Trend mehr auf sich guckt als auf das andere Subjekt – konzentriert man sich nicht mehr auf das Gegenüber, vergleicht ständig und vollzieht den letzten Schritt, das endgültige sich emotional Einlassen, nicht. Sie meint, man lässt sich nicht mehr von einem Gefühl überraschen, sondern denkt „rational, wie eine Konsument*in“ (S. 28).
Die Autorin geht mit ihrem Psychologiebashing noch weiter: „Die analysierende Introspektion sowie (eine) psychologisierende Self-Empowerment-Haltung bewirken, dass (man) Schwierigkeiten hat, überhaupt Gefühle zu empfinden.“ (S. 32). Zack, Empowerment ist auch uncool. Zumindest für eine wahre, tiefgehende Liebe und ein ehrliches Einlassen auf einen anderen Menschen.
Dass sich das moderne Liebesleben ändert, dass auch die Einstellung vorherrscht, eine nicht (mehr) funktionierende Beziehung „einfach durch eine neue zu ersetzen“, wird vor allem von Dating Apps wie Tinder und Lovoo vorangetrieben, die ein Übermaß an Sex und Liebe suggerieren. Durch dieses vermeintlich üppige Angebot werden die User:innen natürlich dazu verleitet, erstmal, ganz dem Kapitalismus entsprechend, zu vergleichen und das vermeintlich Beste auszusuchen. Wenn das Subjekt der Begierde dann nicht passt, wird ebenso kapitalistisch denkend vom Rückgaberecht gebrauch gemacht und der nächste Mensch getestet. Und doch ist diese Objektifizierung gerade von Frauen durch cis Männer nichts neues. Mädchen und Frauen bzw. als solche wahrgenommene Menschen werden seit Jahrtausenden als Sache, als Eigentum von cis Männern betrachtet, das man von einem Patriarchen zum anderen schieben kann. Auch früher schon konnten sich Männer ihrer Ehefrauen entledigen, wenn diese keine Kinder oder – Gott bewahre – keine Jungen gebaren. Das Austauschen ist nun nur schlicht flächendeckender geworden, jede:r ist austauschbar. Nicht nur im Job, auch im Privaten.
Für diese Haltung aber das Self-Empowerment verantwortlich zu machen, ist ein völlig falsches Signal und hat in einem angeblich feministischen Buch einfach nichts verloren. Self-Empowerment hilft ganz im Gegenteil, aus dieser Kapitalisierung des Liebesgeschäfts herauszutreten, sich dem Kapital zu entziehen und (mehr oder weniger) selbstbewusst andere Wege einzuschlagen. Self-Empowerment bedeutet ja gerade auch, wieder in Kontakt mit sich selbst und den eigenen Gefühlen zu treten, also auch der Liebe. Anstatt sich rein auf eine optimierte Partnerschaftssuche zu konzentrieren um eine:n möglichst ebenso optimale:n Partner:in zu finden, wird man, Achtung: empowerd, woop woop, sich aus diesem Kreislauf zu lösen und sich wieder ganz auf sich und auch andere Menschen konzentrieren zu können.
Die armen cis Männer können sich wegen der Emanzipation gar nicht mehr cis männlich fühlen!!1!11!!
Übrigens wird auch das Konzept der offenen Beziehung am Rande kurzerhand abgewatscht. Zwar wird Leonardo DiCaprio in der Szene auf S. 37 wie der beziehungsunfähige Arsch vom Dienst dargestellt, der mit diesem angeblich seine Autonomie als moderner Mensch unterstreichendem Schritt im Grunde nur seine Bindungsunfähigkeit kaschieren will. Und es gibt hundertpro Menschen, die dem Bild entsprechen, vielleicht auch DiCaprio. Aber hier fehlt schlicht die Differenzierung zur Polyamorie, die bereits mit Vorurteilen noch und nöcher zu kämpfen hat. Aber hey, alles ist recht, solange man DiCaprio wie einen frauenverachtenden Vollpfosten dastehen lassen kann. Und bevor der Vorwurf kommt: nein, ich möchte DiCaprio keinesfalls in Schutz nehmen.
Eine der steilsten Thesen überhaupt ist aber, dass die Emanzipation Schuld daran ist, dass cis Männer sich nicht mehr wie cis Männer fühlen können, sich deshalb distanzieren und unfähig sind, eine Liebesbeziehung einzugehen und zu ihren Gefühlen zu stehen.
WO. SOLL. ICH. DA. ANFANGEN!
Weil Frauen immer mehr in traditionell cis Männern vorbehaltenen Kontexte vordrangen und -dringen, haben eben jene cis Männer immer weniger Orte, um ihre Männlichkeit zu profilieren. Während früher Männlichkeit vor allem durch eine große Familie bestätigt wurde – Stichwort Patriarch → Patriarchat, was ne Überraschung – sind nun „psychologische Autonomie und ökonomischer Erfolg die kulturellen Imperative (…), die Männlichkeit am Meisten prägen“ (S. 47). Warum daraus eine kapitalistische Auffassung von Liebe, Bindungsangst und Distanz zu den eigenen Emotionen resultiert? Gute Frage. Beantwortet Strömquist auch nicht wirklich. Da allerdings cis Männer sich nun nicht mehr über eine große Familie profilieren können, weil andere Dinge als „männlicher“ (sic) gelten, müssen nun konsequenterweise Frauen den unbedingten Kinderwunsch übernehmen (und werden gleich wieder nur als Mutter gesehen, anstatt dass sie als Frau, Mensch angesehen werden. Nein, eine Frau kann nur mit Kind, also als Mutter, als Frau definiert werden). Mit dem sie dann wieder die cis Männer in die Flucht schlagen.
Offene Beziehung? Polyamorie? Alles beziehungsunfähiger Autonomiequark!
Habe ich schon mal erwähnt, dass dieses Buch unfassbar binär ist? Aber gut, sei’s drum, Strömquist arbeitet mit generischen Cis-Hetero-Rollenbildern, müssen wir mit leben. Dass es durchaus andere Beziehungskonzepte gibt, von nicht-hetero Beziehungen über kinderlos glücklich bis hin zu polyamour oder Mischungen aus allem ist alles dabei, wird konsequent ausgeblendet. Und da passt das alles hinten und vorne nicht. Nein, auch wenn man bedenkt, dass solche gesellschaftliche Prägungen auch vor nicht-cis-hetero Personen nicht Halt machen. Dafür, dass man sich mit solchen Prägungen kritisch auseinandersetzt und auseinandersetzen kann, Konsequenzen daraus ziehen kann und sich von solchen Rollenbildern nicht mehr unterdrücken lassen will, dafür ist übrigens das von Strömquist so verschriene Empowerment übrigens auch gut. Aber hey, ich bin ja keine Bestsellerautorin, was weiß ich schon.
Back to Topic: Da nun aber cis Männer ihre männliche Männlichkeitsautonomie durch Distanziertheit ausdrücken, und Frauen nur eine Chance haben, eine Beziehung mit eben jenen männlichen Männlichkeitsmännern einzugehen, müssen sie, laut Strömquist, dieses Gebahren moderner cis Männer imitieren – und sich heimlich natürlich etwas ganz anderes Wünschen. Was will Strömquist uns eigentlich erzählen? Dass es im 18., 19.Jahrhundert für die Frauen, zumindest gefühls- und beziehungstechnisch so viel besser war? ERNSTHAFT?! Kann ich das Empowerment nochmal sehen? Ist ja nicht auszuhalten!
Im Weiteren geht Strömquist auf die „Entzauberung der Liebe“ durch wissenschaftliche Erklärungen ein. Diese würden „die sinnhafte Verbindung zwischen der romantischen Erfahrung und einer mystischen und irrational gedachten Liebe“ lösen. Dadurch wird die Liebe zu einer schnöden Ansammlung chemischer Prozesse anstatt eine – Achtung – eine „Mythologie, eine transzendente Eigenmacht“ zu bleiben (S.84). Was sie bei dieser scharfen Verurteilung von wissenschaftlichen Erklärungen mal salopp unter den Tisch fallen lässt: auch diese Prozesse müssen in Gang gesetzt werden. Ja, viele Aspekte der Liebe wurden und werden mit Hormonen und chemischen Verbindungen erklärt. Vielleicht ist Liebe dadurch etwas greifbarer geworden. Die Wucht dieser Naturgewalt ist aber nicht geschmälert. Noch immer verlieben sich Menschen. Ja, auch solche, die um diese evolutiven Hormon-Cocktails wissen (schon mal „Bones, die Knochenjägerin“ geguckt? Da habt ihr gleich ein popkulturelles Beispiel).
Erinnern wir uns nochmal daran, dass die pöhse, pöhse Emanzipation Schuld daran ist, dass cis Männer ihre Männlichkeit nicht mehr ausleben können und sich deshalb in eine emotionale Distanz flüchten (und Kapitalismus und Patriarchat an dieser Stelle stillschweigend unter den Teppich gekehrt werden). Ihr glaubt, das war alles zum Thema Emanzipation und Gleichstellung? Schön wär’s. Auf S. 88 finden wir – und es ist kein Zitat eines längst verstorbenen Philosophen – folgenden geistigen Erguss: „Heute sind auch Männer zunehmend von ihrem Aussehen besessen! Dank der wunderbaren Fortschritte in Sachen Gleichberechtigung! Ha ha! Schnief!“
Ich hätte da jetzt einen vom Kapitalismus ausgelösten Optimierungsdrang der eigenen Person in Verdacht, aber hey, warum nicht die Gleichberechtigung. Vielleicht meint Strömquist diesen Kommentar sarkastisch. Aber da die Geschlechter den cis Männern gleichgestellt werden sollen und nicht umgekehrt, hinkt das hier gewaltig …
Und nur so als Information am Rande: auch Männer haben schon immer auch auf ihr Äußeres geachtet. Ich denke da nur mal an Napoleon, der Schuhe mit Absätzen trug, weil er seiner Meinung nach ein wenig zu kurz geraten war.
Auch der von Strömquist verurteilte „Therapie-Trend“ wird wieder als „Therapie“-Kultur“ aufgegriffen, die dafür sorgt, dass „Hingabe und Aufopferung auf dem Altar der Liebe seit Jahrzehnten OUT sind“ (S. 119). Woher kommt dieser Limbo? Nunja, die Autorin hat Beyoncés Song „Irreplacable“ aufgegriffen, in der Beyoncé singt, sie könnte innerhalb kürzester Zeit einen Ersatz für ihren fremdgehenden jetzt-Ex-Freund finden. Im Gegensatz dazu sangen Frauen noch in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, dass sie doch auch gleich sterben können, können sie nicht den Mann bekommen, den sie lieben. Oder dass man doch die Frau ausfindig machen solle, mit der der Mann der Sängerin fremd geht.
Richtig seltsam wird es, als Strömquist Lord Byron und Carolin Lamb als Beispiel wunderbar ausgelebter Gefühle zeigt. Zusammenfassung: Lamb liebt Byron, er gibt sich einer Affäre mit ihr hin, langweilt sich irgendwann und will sie verlassen. Sie wiederum droht wiederholt mit Selbstmord, steigt ihm nach. Heutzutage nennt man das übrigens toxisches Verhalten und Stalking. Aber anstatt dieses Verhalten als solches zu benennen, wird Caroline Lamb als Beispiel dafür genommen, dass sie ihrer „Liebe loyal“ geblieben ist, ihre Gefühle nicht zu einem Problem erhob, das man möglichst schnell überwinden müsse. An keiner Stelle kritisiert Strömquist Lambs Verhalten. Im Gegenteil, sie führt auch noch Roland Barthes an, dessen Meinung zufolge der „Geliebte“ ebenso engagiert ist wie die:der Liebende, und gibt dem Stalkingopfer (Mit-)Schuld an dessen Situation: „Wenn es dem Liebenden so schwer fällt, den anderen zu verlassen, dann (…) aus dem Grund, dass der andere nicht will, dass man ihn verlässt“ (S. 132).
Was bleibt?
Durch die ganze Graphic Novel hinweg wirft Strömquist immer wieder Fußnoten ein: „Vielleicht, vielleicht.“ Vielleicht ist es so, wie sie analysiert. Nämlich, dass Emanzipation, Wissenschaft und Therapie Schuld daran sind, dass wir alle völlig unfähig geworden sind, zu lieben. Vielleicht aber auch nicht.
Diese „Vielleichts“ entschärfen nichts von dem Bullshit in „Ich fühl’s nicht“. Im Klappentext wird die Konsumgesellschaft als Urheberin dieser verkorksten Auffassung von Liebe angeprangert. Die kommt aber wenig vor, und wenn, dann wird nicht der Kapitalismus als Wurzel benannt, sondern ausgerechnet feministische Errungenschaften wie Emanzipation, die andauernde Forderung nach Gleichberechtigung und Self-Empowerment, darüber hinaus wissenschaftliche Erkenntnisse und natürlich auch immer wieder Psychologie und Therapie. Nein, nach Lesen dieses Buches kann man sich als Leser:in des Eindrucks nicht erwehren, die Autorin sei der Überzeugung, das große Gefühl Liebe wurde auf dem Altar des Feminismus geopfert (um mal ihre dramatische Sprache aufzugreifen).
So viel undifferenzierten Quark, Emanzipationsbashing und antifeministische Ergüsse erwarte ich eigentlich eher von Kalibern wie der CSU oder noch weiter rechts. Nicht von einer feministischen Autorin.
„Ich fühl’s nicht“ – Ich auch nicht, Frau Strömquist, ich auch nicht.