Von Xenia*
Was bisher geschah: Die Grünen haben so ziemlich den besten Vorschlag, den es in diesem Land jemals für eine TSG-Reform gab in den Bundestag eingebracht. Vor der ersten Lesung gab es dann durch alleGutenDinge.jetzt einen Stapel Abgeordnetenpost um für das Gesetz in den anderen Fraktionen zu werben. Darauf gab es dann auch Antworten. Und um die geht es jetzt.
Antworten
Die Antworten ähneln sich innerhalb der Fraktionen stark. Wer das jetzt als Beweis sieht, dass es den Fraktionen super egal ist und einfach nur eine Standardantwort geschickt wurde, irrt. Anfragen an Abgeordnete werden auf Fraktionsebene besprochen, weil Abgeordnete sich nicht notwendigerweise mit allen Themen auskennen. Es ist grundsätzlich eine gute Sache, dass es da Absprachen gibt. Das erspart uns Antworten von Leuten, die zum Beispiel gar nicht wissen, was trans sein soll. Gleichzeitig heißt das, dass die Anzahl der Argumente, mit denen wir jetzt umgehen müssen, überschaubar bleibt. Wenn jede einzelne Person im Bundestag super individuell argumentieren würde, wären wir in zwei Jahren noch nicht durch, da einen Überblick zu haben. Fraktionen, mit denen wir reden, gibt es aber nur fünfeinhalb (die halbe ist die CSU).
Wo weiter?
Die Grünen haben den Entwurf eingebracht, die FDP hatte einen sehr ähnlichen, die Linksfraktion hat unterstützende Anträge eingebracht. Bei den dreien mache ich mir wenig Sorgen, dass da was sinniges bei rauskommt. Die SPD ist super zerrissen zwischen “Koalitionspartner wird das nicht mit sich machen lassen”, “wir haben das nicht eingebracht” und “das ist inhaltlich solide”, “es wird endlich Zeit”. Das wird eine Aufgabe für einen anderen Tag, der Fraktion zu erklären, dass ihre Mandate laut Grundgesetz frei sind, und sie niemand daran hindern kann, für gute Dinge zu stimmen, auch wenn der CDU das nicht passt.
Die CDU dagegen hat ein paar, in ihren Augen, tragende Argumente gefunden, um darzulegen, dass sie ja eigentlich auch eine Reform wollen, aber den Entwurf der Grünen und den der FDP ablehnen. Das Problem dabei: Ich bin nicht sicher, ob das wirklich Hindernisse sind, die für die CDU unausweichlich im Weg stehen, ob sie ausgewählt sind, um möglichst kompliziert zu widerlegen zu sein, also so als Beschäftigungsmaßnahme, um Zeit und Ruhe zu haben. Und das ergibt einen Zwiespalt: drauf eingehen, und damit diese Argumente gleichberechtigt diskutieren? Den Schmarren stehen lassen und die Fraktion fragen, ob sie uns eigentlich verarschen will? Nun. Dazu fehlt AGDJ das Standing. Da bleibt dann wohl nur, anzunehmen, dass all die Argumente in guter Absicht und für eine sachliche Debatte in den Antwortschreiben gelandet sind.
Was die CDU sagt
Zur Orientierung für alle, die da besonders schmerzbefreit sind, beispielhaft eine Antwort eines CDU-Abgeordneten.
Sehr geehrte Damen und Herren,
in den vergangenen Wochen haben Sie sich bezüglich der Aufhebung des Transsexuellengesetzes und der Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes an mich gewandt. Hierfür danke ich Ihnen, denn der direkte Kontakt zu den Bürgern aus meinem Wahlkreis ist mir als direktgewähltem Bundestagsabgeordneten sehr wichtig. Im Umgang mit der gegenwärtigen Corona-Krise lege ich besonderen Wert auf eine transparente Kommunikation mit den Bürgern, Vereinen, Organisationen und Unternehmen meines Wahlkreises und der Region. Dabei erreichen mich zahllose E-Mails, Briefe und Nachrichten, weshalb ich um Verständnis bitte, dass ich Ihnen erst heute schreibe.
Am 19.06.2020 debattierten wir im Deutschen Bundestag in erster Lesung zwei Gesetzentwürfe der Opposition zum Thema der geschlechtlichen Selbstbestimmung und damit die sehr sensible Frage, welches Verfahren im Falle eines Wunsches zur Änderung des rechtlichen Geschlechts gelten soll. Dies ist für die Betroffenen eine sehr persönliche und emotionale Angelegenheit. Beide Gesetzentwürfe wurden nach der Debatte durch die Mitglieder des Deutschen Bundestages zur weiteren Beratung in die Ausschüsse überwiesen. Gerne möchte ich Ihnen im Folgenden darlegen, weshalb ich der Meinung bin, dass die Gesetzentwürfe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP mit vielfältigen Problemen einhergehen und der Thematik nicht gerecht werden.
Zuerst möchte ich betonen, dass das Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz – TSG) überarbeitungsbedürftig ist. Das Recht auf Selbstbestimmung ist unzweifelhaft ein hohes Gut, gerade in solchen höchstpersönlichen Dingen. Aber auch das Recht auf Selbstbestimmung muss ausnahmsweise dort seine Grenzen finden, wo gewichtige Belange der Allgemeinheit berührt sind. In den beiden Gesetzentwürfen der Opposition wird das Interesse der Allgemeinheit an einem validen Personenstandsregister jedoch überhaupt nicht thematisiert. Personenstandsregister sind die einzigen personenbezogenen Register in Deutschland, die Beweiswert haben und mit denen das “rechtliche Geschlecht” festgelegt wird. Die Verknüpfung von der Geschlechtszugehörigkeit mit Rechten und Pflichten ergibt nur dann Sinn, wenn diese nicht beliebig geändert und ein Missbrauch ausgeschlossen werden kann. Das Geschlecht eines Menschen ist maßgeblich für die Zuweisung von Rechten und Pflichten, weshalb es für die Bevölkerung insgesamt von Interesse ist, dem Personenstand Dauerhaftigkeit und Eindeutigkeit zu verleihen und häufige Personenstandswechsel zu vermeiden. Das Feld der Frauenförderung und die (derzeit ausgesetzte) Wehrpflicht sind hierbei nur zwei Beispiele, die dies verdeutlichen. Aus diesem Grund ist an objektivierten Kriterien (wie beispielsweise Sachverständigengutachten oder ärztlichen Bescheinigungen) zur Eingrenzung des Personenkreises der Betroffenen in einer solch sensiblen Frage festzuhalten. Dies sah auch das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 2011 so (BvR 3295/07).
Ein beliebiges wahrnehmbares Selbstbestimmungsrecht aller Menschen hinsichtlich ihres Geschlechts und ihrer Vornamen wird diesem Erfordernis nicht gerecht. Auch die im Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgesehene Frist von einem Jahr vor einem erneuten Wechsel des Geschlechts und der Vornamen ist nicht geeignet, einen Missbrauch zu verhindern. Außerdem bestimmt die vorgesehene Regelung zum Verbot von geschlechtsangleichenden Operationen den Betroffenenkreis des Verbots nicht hinreichend präzise und verstößt damit möglicherweise gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot.
Sehr geehrte Damen und Herren, der Staat hat eine Schutzfunktion und muss diese wahrnehmen. Deshalb muss Diskriminierung selbstverständlich abgebaut werden. Gleichzeitig hat der Staat den Anspruch und das Recht, staatliche Interessen zu wahren. Dazu zählt auch ein aussagekräftiges Personenstandsregister. Deswegen müssen wir weiter beraten und den Dialog fortführen. Aus den oben genannten Gründen erachte ich die Gesetzesentwürfe jedoch lediglich als Beratungshilfen und Grundlage für die weitere Debatte.
Wehrpflicht
Ja, so hab ich auch geschaut. Die CDU sagt, dass eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht schwierig wäre, wenn das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft treten sollte. Und implizierte damit, dass Menschen wohl einfach, falls sie eingezogen werden könnten, dann eilig das Geschlecht wechseln könnten. Ja, das könnte passieren. Und ja, die Wehrpflicht ist im Grundgesetz verankert und das Grundgesetz sollte Beachtung in der Gesetzgebung finden. Richtig. Aber:
- Die Wehrpflicht ist schon eine ganze Weile ausgesetzt. Niemand scheint sie ernsthaft wieder einführen zu wollen. Und falls doch haben sich seither ja eine ganze Menge Gesetze und Regelungen geändert. Es wäre ohnehin Aufwand das wieder einzuführen. Da müsste dann halt auf ein weiteres Gesetz Rücksicht genommen werden.
- Bereits jetzt, mit dem Transsexuellengesetz, wäre so ein Manöver möglich. Das ist also kein Problem, das erst entsteht, weil das Selbstbestimmungsgesetz da eine Lücke hat. Es würde einfacher werden, ja. Aber es ist kein neues Problem.
- Das Grundgesetz ist nicht dazu da, sich rauszupicken, was einem gerade die Argumentation stützt. Es steht in seiner Gesamtheit. Darin: Das Recht den Kriegsdienst zu verweigern lange bevor eine Wehrpflicht überhaupt auftaucht. Auch die Diskriminierungsverbote aufgrund Geschlecht, das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit und nicht zuletzt die unantastbare Menschenwürde stützen die Rechte, von Menschen, die trans sind. Hier die Wehrpflicht über die Menschenwürde zu stellen wäre mindestens frech.
- Das Grundgesetz könnte auch wer ändern. Wehrpflicht ist super seltsam geregelt, in der Art, dass sie nur Männer betrifft, während die Bundeswehr versucht sich als modernes Unternehmen zu präsentieren und gezielt auch an Frauen in den Streitkräften interessiert ist. Dazu kommt, dass bereits jetzt bei einer Wiedereinführung der Wehrpflicht Personen ohne Geschlechtseintrag oder mit “divers”-Eintrag komplett außen vor wären. Das ist kein Versäumnis derjenigen, die jetzt das Selbstbestimmungsgesetz eingebracht haben oder derjenigen, die es gerne umgesetzt haben wollen.
Die theoretische Wiedereinführung der Wehrpflicht steht also einem Selbstbestimmungsgesetz noch nicht mal entgegen.
Frauenförderung
Die CDU beruft sich ebenso auf die Frauenförderung. Implikation auch hier: Wenn Menschen einfach ihr Geschlecht amtlich ändern könnten, könnten sie sich Fördermittel erschleichen, die ihnen gar nicht zustünden.
Nun. Im Personenstandsgesetz und Transsexuellengesetz gibt es jetzt schon Möglichkeiten, dass Menschen ihren Geschlechtseintrag ändern lassen können. Ich habe noch nie erlebt, dass entweder irgendwer das getan hätte, um sich solche Vorteile zu erschleichen, noch habe ich erlebt, dass irgendwen stört, dass die Möglichkeit besteht – so hätte die CDU ja über die Jahre Verordnungen oder Gesetze einbringen können, um solch einen Missbrauch zu verhindern. Da es dazu nie Initiativen gab, unterstelle ich, dass es bisher kein Problem dargestellt hat.
Das betrifft die Vergangenheit. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz wäre das einfacher. Aber ich sags mal so. Dazu müssten Menschen auf ein Amt gehen, eine Erklärung abgeben, auf einen neuen Personalausweis warten, an relevanten Stellen diese Änderung melden, bekämen neue Rentenversicherungs- und Sozialversicherungsnummern, ihre Arbeitgeber*innen und Versicherungen wüssten damit implizit Bescheid – das ist ein gewaltiger Aufwand. Und bringt die betreffende Person möglicherweise in ziemliche Erklärungsnöte.
Personenstandsregister
Die CDU hat noch ein Argument, das quasi über der Wehrpflicht und der Frauenförderung steht – die Personenstandsregister müssen valide sein. Das sei ein öffentliches Interesse, das dem persönlichen Interesse Einträge zu ändern, entgegen stünde.
Und alle Implikationen hier sind unverschämt. Dabei wird unterstellt, dass die Register jetzt korrekt sind und mit dem Gesetz und dessen Anwendung falscher würden. Das Ding ist jetzt aber folgendes: Das Verfassungsgericht hat – im Urteil zur dritten Option – festgehalten, dass Geschlecht nicht allein auf anatomischen Merkmalen bestimmbar ist. Die Personenstandseinträge werden aber bei Geburt aufgrund von ebensolchen Merkmalen gemacht. Es gibt also gar keine Garantie, dass die Einträge jetzt richtig sind. Das Gegenteil ist der Fall: Wir wissen, dass Einträge falsch sind, die durch TSG-Verfahren dann berichtigt werden. Das Problem ist also auch hier kein Neues. Zu sagen, dass das Argument deswegen hinfällig ist, greift zu kurz. Das ist jetzt nichts, was ich mir in einer fixen Minute ausgedacht habe, die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat in ihrer Verfassungsbeschwerde zum selbstbestimmten Geschlechtseintrag eine ähnliche Argumentation aufgegriffen. Die CDU erreicht durch das Beharren auf hohen Hürden zur Anpassung der Geschlechtseinträge also auch, dass falsche Einträge länger bestehen. Die Register sind also auch jetzt schon nicht unbedingt valide. Damit ist das Argument der CDU entkräftet und zusätzlich zeigt es auch, dass das Interesse an validen Personenstandsregistern selektiv wirkt.
Missbrauch
Zuletzt argumentiert die CDU noch damit, dass die Regelung, per Erklärung auf dem Amt eine Änderung des Geschlechtseintrages auslösen zu können, nicht ausreichend gegen Missbrauch geschützt sei. Im Selbstbestimmungsgesetz darf das immer nur einmal alle 12 Monate erklärt werden, aber auch das würde nicht vor Missbrauch schützen.
Hier hat es mich dann eine Weile gekostet, das einzuordnen. Wie soll ich denn eine “Erklärung” missbräuchlich abgeben? Alle zwei Tage aufs Amt gehen und mir was Neues einfallen lassen? Selbst dann: Mein Geschlecht, meine Erklärung. Ist das wieder ein Rückgriff auf die validen Register und die Frauenförderung? Wenn ja, dann ist es kein neues Argument. Wenn nicht, was dann?
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat 2017 die Ergebnisse einer interministeriellen Arbeitsgruppe zu “Inter- und Transsexualität” veröffentlicht. Dafür wurden einige Studien in Auftrag gegeben und zahlreiche Fachaustausche durchgeführt. Die Ergebnisse sind online frei verfügbar und eigentlich sollte die CDU-Fraktion um diese wissen. Nicht nur weil Abgeordnete daran mitgearbeitet haben. Darin heißt es, dass “Risiken für missbräuchliche Anwendung der Vorschriften nicht erkennbar seien”. Und im internationalen Vergleich zeigt sich, dass es in Ländern, die selbstbestimmte Regelungen eingeführt hat, damit auch keine Problem gab.
Grundlage für weitere Debatte
Dann kommt am Ende noch das Ding mit der Grundlage für eine weitere Debatte. Und ja. Vielleicht hätte eine große Koalition das mal debattieren können (da der Reformbedarf jetzt nix neues ist) und irgendeine ernstzunehmende Reform vorlegen können. Dass jetzt die Grünen in die Bresche springen und einen Vorschlag einbringen, was der CDU sichtlich nicht in den Kram passt, wäre vermeidbar gewesen. Das BMFSFJ hat dazu auch ziemlich taugliche Positionen und eigentlich auch schon einen brauchbaren Gesetzentwurf.
Dranbleiben
Das sollte zeigen, wie die von der CDU aufgeführten Gegenargumente zum Selbstbestimmungsgesetz einerseits gekontert werden können, aber auch andererseits ziemlich zeitfressend und irgendwo auch nicht super sachlich sind. Es entsteht fast der Eindruck, dass die CDU einerseits selbst keine Reform möchte, andererseits aber denen, die sie wollen, auferlegt, sie so zu machen, wie die CDU das gerne hätte. Unabhängig vom Stand der Wissenschaft oder der Verwirklichung von Menschenrechten.
Was können wir also nun für das Selbstbestimmungsgesetz tun? Der CDU sachlich antworten. Aufzeigen, wieso die Argumente nicht greifen. Auf gute Erfahrungen in den Ländern, die Selbstbestimmungsgesetze haben, verweisen. An die Ergebnisse der Trans-Inter-Arbeitsgruppe im BMFSFJ erinnern. An die Verfassungsbeschwerde der Gesellschaft für Freiheitsrechte und daran, dass es eigentlich der schönere, bessere und schnellere Weg ist, direkt Gesetze zu machen, die verfassungskonform und zeitgemäß sind und nicht zu warten, bis das Bundesverfassungsgericht, das was noch an Gesetz da ist, einkassiert.
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*Xenia studiert, hat 2012 den Queerlexikon e.V. mitbegründet und will endlich das Selbstbestimmungsgesetz für sich und alle anderen.