Frau Mümmel kann alles. Sie begegnet mir fast jeden Tag; immer wieder staune ich mit meiner Familie, was alles in ihr Repertoire fällt. Zur Zeit wäre sie eine echte Heldin, ohne sie bekommen wir große Probleme. Frau Mümmel ist eine Zeichentrickfigur. Eine Häsin (oder eine Kaninchendame, da bin ich nicht sicher) aus Pepa Wutz, einer Kinderserie, die mein jüngstes Kind liebt und das damit seine Geschwister angesteckt hat. Selbst der schon pubertäre Zwölfjährige kommt, wenn er schlechte Laune hat, und macht Pepa Wutz an. Es kommt der Eindruck auf: Alle lieben Pepa Wutz.
Alle?
Nun lässt sich über Pepa Wutz viel schreiben. Wie angenehm es ist, dass sie mit Bauklötzen spielt und in Matschepfützen springt, laut ist, frech, vorlaut und ein bisschen eingebildet. Sie ist vielleicht nicht immer eine angenehme Person, aber sie ist echt und sagt ihre Meinung. Viele der Mütter in Pepa Wutz arbeiten. Es gibt eine Tierärztin, eine Autorin, eine Büroangestellte; eine Mutter hat eine eigene Töpferwerkstatt. Es lässt sich aber auch viel Schlechtes sagen über Pepa Wutz. Die Serie ist sehr binär, Geschlechterunterscheidung funktioniert über Kleidung und Farben. Sie ist auch ableistisch, „dumm“ ist so ein Wort, das in fast jeder Folge abwertend fällt. Ein Mischmasch also – aus Dingen, die ich durchaus weitergeben will, und Problemen, die ich direkt beim Zusehen oder danach anspreche. Das ist in diesem Fall mein Weg zur Medienerziehung.
Ich rede auch viel über Frau Mümmel. Frau Mümmel ist die Schwester von Frau Löffel. Ja, die Namen, ich weiß. Während Frau Löffel verheiratet ist, je nach Folge zwei bis vier Kinder hat und nicht arbeitet, arbeitete Frau Mümmel. Viel. Quasi immer. Und alles. Frau Mümmel ist Krankenschwester und Busfahrerin, sie hat einen Eiswagen und fliegt den Rettungshubschrauber, sie ist bei der Feuerwehr und verkauft in einem Porzellanladen, sitzt im Museumsshop oder im Supermarkt an der Kasse und fährt Taxi. Frau Mümmel macht alles. Sie ist die Arbeiterklasse. Und es gibt so viel, was daran problematisch ist.
1) First to begin
Frau Mümmel ist eine Frau. Dass Frauen weniger verdienen als Männer, ist auch in UK, wo die Serie herkommt, Realität. Die Arbeitsfelder, in denen sie arbeitet, sind fast ausnahmslos solche mit niedriger Bezahlung. Kindergärtnerin ist sie nur deswegen nicht, weil das bereits Madame Gazelle macht, die finanziell ausgesorgt hat, denn die war früher Popstar. Dass Frau Mümmel als Frau diese Rolle der Figur mit mehreren Jobs zugeschrieben bekommt, ist aber auch deswegen interessant weil sie:
2) Nicht verheiratet ist
Wait, what? Ja, genau. Sie ist ledig, sie hat keine Familie, keine:n Partner:in (Scherz, als würde so eine Kinderserie ein gleichgeschlechtliches Paar zeigen). Der direkte Vergleich mit ihrer Schwester, der Mehrfachmutter, zeigt, wie essentiell dieser Umstand ist. Frau Löffel ist Mutter, sie hat keinen (anderen) Beruf. Frau Mümmel aber muss arbeiten, denn sie hat keine Familie. Sie muss viel arbeiten, denn sie braucht das Geld (wird übrigens so nicht thematisiert). Wie viel Frau Mümmel arbeitet, wird quasi zum Running Gag. Etwa wenn Familie Wutz in Frankreich einer Mademoiselle Lapin (französisch für Kaninchen) begegnet, die ebenfalls einen Rettungshubschrauber fliegt und erst erklären muss, dass sie nicht ihre englische Entsprechung ist. Solche wie Frau Mümmel gibt es eben überall. Oder als Frau Mümmel sich den Knöchel verstaucht und ihre Jobs von mehreren unterschiedlichen Leuten sehr schlecht erledigt werden. Denn:
3) Nur Frau Mümmel kann das
Es ist ein ziemlich mieser Trick des Systems, solche Aufgaben als wichtig zu zeigen, als systemrelevant oder zur kritischen Infrastruktur gehörend zu benennen und gleichzeitig die miesen Bedingungen dieser Berufe zu ignorieren. Und es geht hier nicht nur um Geld. Ja, es geht auch ums Geld, aber auch um Anerkennung und gesellschaftliche Wahrnehmung. Wir wissen alle, wie wichtig Krankenpflegepersonal und Supermarktkassierer:innen sind, aber das führt nicht dazu, dass jemand sie besser bezahlt. Im Gegenteil, die Bedingungen spitzen sich immer mehr zu. Aktuell brennen wir diese Menschen regelrecht aus. Was wir nach der Pandemie machen werden – whenever that will be – wenn die Menschen in systemrelevanten Berufen nicht mehr können, interessiert kaum jemanden. In einer Kinderserie so eine Figur derart überzustilisieren, ist bitter. Es vermittelt Kindern, wie wichtig diese Menschen sind, ohne zu hinterfragen, warum Frau Mümmel all diese Berufe ausübt. Niemand spricht davon, aber:
4) Kapitalismus sucks
Pepa Wutz spielt in der oberen Mittelschicht. Wir treffen auf viele Figuren mit guten Abschlüssen und Jobs. Hier gibt es einen Briefträger (dessen Frau nebenbei gesagt die Töpferin ist), da einen Bauleiter (dessen Arbeiter:innen gezeigt werden, aber keine Namen haben). Frau Mümmel braucht ihre Jobs. Sie wünscht sich auch mal einen echten Feierabend, sie erträgt stoisch, wenn Herr Bulle, der eben erwähnte Bauleiter, seinen Sand in ihr Taxi schüttet, während er sich zur Baustelle fahren lässt. Sie ist immer fröhlich und freundlich, obwohl sie permanent ausgebeutet wird. Sie macht all diese Job nicht, weil sie sonst niemand macht, sondern weil sie diese Jobs braucht. Nie sehen wir Frau Mümmels Haus, vielleicht schläft sie an der Supermarktkasse. Sie hat keine Hobbies, wann soll sie das auch machen? Frau Mümmel ist keine Heldin, sie ist ein Opfer, das immer lächelt.
Ich mag Frau Mümmel. Sie hat mir die Gelegenheit gegeben, mit meinen Kindern über schlecht bezahlte aber wichtige Arbeitsplätze zu reden, darüber, wie sie ausgebeutet wird und warum das Mist ist. Der Zwölfjährige staunt mittlerweile auch, was Frau Mümmel alles macht, und ja, das wirkt, das funktioniert, es macht etwas sichtbar, dass vielleicht gar nicht beabsichtigt war. Denn welche Kinderserie will schon etwas über zu niedrige Löhnen sagen, zu PayGap und Diskriminierung von nicht verheirateten Frauen. Frau Mümmel sorgt dafür, ich dass ich immer mal wieder mit meinen Kindern darüber rede, denn wenn wir Figuren wie sie reflektieren und kommentieren, kann das bis in unsere Wirklichkeit greifen.