TW: Vergewaltigung, Darstellung sexualisierter Gewalt, Rape Culture, Victim Blaming
Die Autorin beschreibt, wie es sich anfühlt, wenn der eigene Vergewaltiger weiterhin in queeren und feministischen Räumen unterwegs ist, ohne, dass sie etwas dagegen tun könnte.
So, here’s the thing:
Ich weiß, dass jeder Mensch ein Recht darauf hat, aus seinen Fehlern zu lernen. Zu reflektieren, sich zu bessern. Gehört zu werden, Unterstützung zu bekommen, Liebe, Geborgenheit und all das. Ich möchte niemandem diese Dinge absprechen.
Aber wenn ein Mensch einem anderen Gewalt antut, dann passiert etwas Unfassbares, häufig Unbegreifliches.
Gewalt verändert Dinge, verändert Leben, Dynamiken, Realitäten, Beziehungen – Alles.
Und während ich niemandem auf dieser Welt die Anfangs genannten Rechte absprechen möchte, so möchte ich doch einiges zu bedenken geben, das viel zu oft übersehen wird, insbesondere in linken, queeren, feministischen Bubbles. Ich habe keine Patentlösung für dieses Problem, aber es ist wichtig, dass ein Bewusstsein dafür entsteht, was hier passiert. Wie die Zusammenhänge dieser Situationen sind.
What happened
Als mein Täter mich vergewaltigte, hat er mir Gewalt angetan. Er missachtete meine Grenzen, mein „Nein”, mein Recht auf Selbstbestimmung.
Er setzte sich über alles hinweg, drang gegen meinen Willen in mich ein, nutze eine Situation aus, in der ich ihm emotional ausgeliefert war und verstärkte dieses Machtverhältnis durch grobe körperliche Gewalt, die mein Leben bedrohte indem er mich gewaltsam würgte.
Diese Tat hinterließ körperliche und seelische Spuren bei mir. Die direkten körperlichen Verletzungen sind längst verheilt, doch die psychischen Verletzungen sind tief und noch immer frisch. Auch Monate nach der Tat.
Ich habe gute Tage und schlechte. An manchen kann ich nahezu unbeschwert leben, an anderen breche ich ohne Vorwarnung zusammen, weine, zittere, habe Flashbacks.
Dissoziation beim Einkaufen im Supermarkt, das Gefühl keine Luft zu bekommen und seine Hände an meinem Hals zu spüren als wäre es real, Alpträume.
Ich habe Anzeige erstattet. Der ganze Prozess war zermürbend, belastend, massiv retraumatisierend. Die Fragen bei der Vernehmung geistern noch immer durch meinen Kopf, das Victim Blaming zerfrisst mich an schlechten Tagen, lähmt mich.
„Warum haben sie sich nicht körperlich gewehrt?”
„Warum haben sie zugelassen, sich knebeln zu lassen?”
„Warum sind sie erst am nächsten Morgen nach Hause gefahren, haben eine Woche gewartet Anzeige zu erstatten?”
Und noch so viel mehr.
Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft kann noch Monate oder gar Jahre dauern und wird, da mache ich mir nichts vor, sicherlich zu seinen Gunsten ausfallen. Bisher, auch Monate später, wurde der Täter nach seiner Aussage noch nicht einmal befragt oder über die vorliegende Anzeige informiert.
Zu einem Gerichtsverfahren wird es mit großer Sicherheit gar nicht kommen, ich kenne das Täter schützende Rechtssystem in diesem Land gut genug, um das zu wissen.
Was mir bleibt ist also der Versuch, zu heilen. Wie viele Stunden Therapie es benötigen wird, wie viele Jahre der Traumaverarbeitung – es ist schwer zu sagen. Aber schnell wird es nicht gehen, soviel ist klar. Und auch „danach” – wenn die akuten Folgen der Tat verschwunden sind, wenn die Posttraumatische Belastungsstörung überwunden ist, das Trauma therapeutisch aufgearbeitet wurde: die Erinnerungen bleiben, die Narben auf meiner Seele.
Der Täter in meiner Nähe
Währenddessen kommt der Täter aus einer Szene des Feminismus, ein „Aktivist”, jemand der laut ist, jung und links und aktiv und auch noch regional in der Nähe.
Ich sehe also, wie immer mehr Menschen ihm auf Twitter folgen. Seine Worte beklatschen, seine Einstellung und Haltung loben, auf ihn schauen für Inspiration bei bestimmten Themen. Ich sehe auch, wie sie seine Inhalte teilen, ihm Geschenke machen, sich treffen. Ich lese, wie er weiter aktiv in linken, feministischen, queeren, kinky und polyamoren Bubbles mitgestaltet. Neue Partnerpersonen findet, Freundschaften formt, angenommen wird, Zuspruch erhält.
Weil es niemand weiß. Niemand weiß was, was er getan hat. Er muss es niemandem erzählen. Konsequenzen bleiben so aus. Aber wenigstens reflektieren und sich selbst der Tat bewusst sein, das wird doch sicherlich drin sein als Mensch, der sich aktivistisch mit Themen wie sexualisierter Gewalt auseinandersetzt und das ist doch schließlich auch schon viel Wert… oder?
Ich bin mir da nicht so sicher. Denn die Realität ist eine andere, bittere Wahrheit.
Und ganz ehrlich: das kann es nicht sein.
Dieser Mensch hat mir Gewalt angetan, die mein gesamtes Leben verändert hat.
Und ich möchte hier ganz deutlich sein:
Ich kann auch an den „guten Tagen” nicht leben wie vorher. Mein Sexuallleben ist nicht existent, weil die psychischen Folgen seiner Gewalt verhindern, dass ich auch nur Berührung zulassen kann, von Nacktheit oder gar sexuellen Handlungen ganz zu schweigen. Der Leidensdruck, den ich aufgrund seiner Gewalt habe, ist unbeschreiblich.
Sein Leben hingegen hat sich kaum verändert. Wird sich nicht verändern. Denn es wird keine Verurteilung geben, macht euch nichts vor. Weder juristisch noch innerhalb der queer feministischen Bubble. Solange es niemand weiß, solange er einfach weiter diese Fassade erfolgreich bedient, wird es ihm so leicht sein, diese Tat letztlich zu vergessen, zu verdrängen, hinter sich zu lassen.
Warum ich das behaupte? Weil es die Realität ist. Schon jetzt nutzt der Täter die Öffentlichkeit um in absurden Verzerrungen Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben, mir menschenverachtende Handlungen und Argumente anzudichten. Es wird versucht, sich selbst in langen Threads als Opfer darzustellen, wenn Konsequenzen drohen werden diese vehement abgelehnt, meine eigene Traumabewältigung soll – privat wie öffentlich – policed werden, eine Einbeziehung des Täters mit aller Macht erzwungen werden.
Ich war nicht die erste Person, die durch meinen Täter sexuelle Gewalt erfahren musste (er hat es mir selbst erzählt), und ich werde auch nicht die letzte Person sein.
Das erste, was nach der Tat passierte, war Guilt Tripping, Victim Blaming, Relativierungen, Ausflüchte, Rechtfertigungen. Die eigenen Erkrankungen und Diagnosen werden als Ausrede für die Gewalt herangezogen, während mir Ableismus unterstellt wird.
Zitat: “Vergewaltigung ist ein Trauma, das unabhängig vom Täter passiert. Auch wenn das, was passiert ist, für dich eine Vergewaltigung war, heißt das nicht, dass ich ein Vergewaltiger bin.”
Und ganz ehrlich: damit komme ich nicht klar. Mein Leben wurde durch die Gewalt, die er mir angetan hat so nachhaltig verändert wie von einem Meteoriteneinschlag.
Sein Leben wurde von einem leichten Erdbeben erschüttert. Die Erinnerungen mögen schwierig sein, aber die Risse im Mauerwerk wurden längst wieder gefüllt, der Alltag ist zurückgekehrt.
Ich stehe vor den Trümmern, die seine Gewalt hinterlassen hat.
Das Problem: Täter in den feministischen Bubbles
Er lebt weiter. Er erlebt Sonnenschein, Freude, Liebe, Geborgenheit.
Damit komme ich nicht klar. Aber das ist mein Ding, denn diese Dinge sind trotz allem grundlegende Rechte, die jeder Mensch hat – auch Gewalttäter.
Damit muss ich leben.
Womit ich aber nicht leben will, es aber offensichtlich dennoch muss ist, dass er in meine Spaces eindringen kann, dass er sogar dort willkommen geheißen wird. Menschen empfangen ihn mit offenen Armen, bieten ihm einen Platz an.
In meinen (Safe) Spaces. Wenn ich versuche, dies zu verhindern, muss ich mit ausschweifenden, gewaltvollen Ausführungen von Täterseite gegen mich rechnen, die manipulative Taktiken und psychische Gewalt nach allen Regeln der Kunst bedienen.
Und das? Das kann und will ich nicht akzeptieren. Aber ich bin dennoch HILFLOS dagegen. Ich kann nichts tun. Ich kann ihn nicht Outen, kann ihn nicht outcallen oder benennen. Ich würde mich strafbar machen, da er nicht rechtskräftig verurteilt wurde.
Für viele wäre ich wohl auch noch „die Böse”, weil ich nicht verzeihen kann, nicht vergessen. Weil ich ja nicht „da drüber stehe“ wenn ich öffentlich und laut Gefühle wie Wut verkünde. Und weil ich eine marginalisierte Person aus der queerfeministischen Bubble angreife.
Ganz ehrlich Leute, wo ist denn dieser Opferschutz, von dem immer alle reden? Wo ist der Support und die Solidarität? Und bitte, kommt mir jetzt nicht mit euren drei Tweets zu Jany Tempel und dem Like zu meiner Story.
Denn ich sehe euch. Wie ihr diesen Text lest. Euch fragt, ob ihr meinen Täter kennt, ihm folgt, ihn liked.
Das ist ein komisches Gefühl, nicht wahr? Ja, schon irgendwie doof.
Was ändert es? Konkreter: was ändert ihr? In vielen, zu vielen Fällen: NICHTS.
„Block ihn doch.”
Fickt euch. Wieso blockt IHR ihn nicht?
Wieso wird die (queer) feministische, linke Twitter Bubble oft erst so spät, so zögerlich aktiv wenn es darum geht, Konsequenzen zu ziehen & zu fordern, es darum geht dass Täter*innen Verantwortung übernehmen sollen?
Ihr haltet in stattdessen weiter Türen auf.
Wer am Ende geht? Ich.
Aber sagt mir nicht, ich hätte euch nicht gewarnt, wenn irgendwann die nächste Person von ihm einen Meteoriten auf ihr Leben geworfen bekommt.
Während ihr Kuscheltiere verschenkt und Herzchen verteilt, für Täter*innen in eurem Umfeld.