„Das kann man aber auch netter sagen!“ Das ist einer der Sätze, die eine Diskussion so schnell abwürgen, dass es für mein Gegenüber schon eine Zeitverschwendung war, ihn überhaupt zu sagen.
Marginalisierte Menschen, die über unterdrückende Systeme informieren oder in Gesprächen auf diskriminierende Sprache hinweisen, hören so einen Satz sicher fast täglich. Die ganzen offenen Menschen da draußen, die wollen ja schon lernen, aber doch bitte ganz ohne Stress und — Himmel! — immer schön freundlich. Wer will denn schon einer wütenden Person zuhören, die wirkt ja schon ganz hysterisch und sollte sich erst mal beruhigen, hui! Okay, Sarkasmus beiseite: Wenn du einer marginalisierten Person vorschreiben willst, in welchem Tonfall sie ihre Erfahrungen erzählen soll, dann ist nicht ihr Tonfall das Problem. Dann bist du das Problem, denn du willst offensichtlich nur unter bestimmten Bedingungen dazulernen. Und ansonsten eben lieber ignorant bleiben.
„Beruhig dich erst mal!“
Das oben angerissene Phänomen nennt sich Tone Policing und betrifft marginalisierte Menschen, zum Beispiel Schwarze und People of Color, Frauen, Enbys oder queere Menschen, dicke Menschen, arme Menschen, psychisch kranke Menschen, behinderte Menschen etc. Wie Tone Policing konkret aussehen kann, zeige ich euch an ein paar Beispielen:
- Ein Typ schreibt einen sexistischen Tweet, ob nun bewusst oder unbewusst, und wird darauf hingewiesen. Er möchte diskutieren („also ich sehe den Sexismus nicht“), woraufhin ihm gesagt wird, dass seine Meinung da scheißegal sei. Seine Antwort: „Ich hätte ja gern mit dir diskutiert, aber nicht, wenn du gleich so hysterisch wirst.“
- Eine Schwarze Frau berichtet aufgewühlt, dass sie am Bahnhof rassistisch beleidigt wurde, und lässt wütend ihren Frust bei Twitter raus. Leute antworten, dass es ja gar nicht besser werden könne, wenn sie gleich so aggressiv wird. (Ja, das ist rassistisch.)
- Ein Tweet über Gewalt gegen Frauen durch (Ex-)Partner wird mit dem Hashtag #MenAreTrash versehen. In den Replys wird nur über Verallgemeinerung gejammert.
- Eine Person mit Posttraumatischer Belastungsstörung zählt Gründe dafür auf, warum Inhaltswarnungen sinnvoll sind. Irgendwer kommentiert, dass man ja nicht auf alle Befindlichkeiten achten könne und überhaupt — „dein Tonfall triggert mich.“ (Nein, es ist nicht edgy oder witzig, wenn ihr medizinische Begriffe aus ihren Kontexten zerrt und sie damit lächerlich macht.)
Bei Tone Policing handelt es sich also um derailing und ein Strohmannargument, das den Diskurs vom eigentlichen Thema zu einem ganz anderen verschiebt und somit den Austausch abblockt. Statt also den Inhalt des Textes zu kommentieren — ja auch nur wahrzunehmen –, stürzen sich Menschen auf den emotionalen oder heftigen Tonfall und werten damit nicht nur den Beitrag der marginalisierten Person ab, sondern stellen diese auch noch aktiv stumm. Sie transportieren mit ihrer Kritik am Tonfall, dass sie nur unter bestimmten Bedingungen zuhören wollen. Natürlich fühlt es sich nicht schön an, auf eine sexistische/rassistische/antisemitische Formulierung hingewiesen zu werden, aber das soll es auch gar nicht. Feminismus, Antirassismus und so weiter sind nicht gemütlich.
„Wir wissen nichts darüber und bilden uns deshalb ein Urteil“
Ein aktuelles Beispiel dafür, welches Level Tone Policing erreichen kann, ist die mediale Kommentierung der #FridaysForFuture-Initiatorin Greta Thunberg. Die Schülerin spricht mit großer Reichweite und wissenschaftlich belegten Fakten über die Folgen des Klimawandels und fordert Andere — besonders Schüler*innen — auf, es ihr gleichzutun. Statt ihr zuzuhören und über ihre Texte und Reden nachzudenken, passiert in sozialen Medien allerdings in gruseliger Häufigkeit Folgendes: Aufgrund ihres Geschlechts und/oder ihres Alters und/oder ihres Asperger-Autismus wird sie als Person abgewertet und somit werden die Inhalte, die sie transportieren möchte, klein bis unsichtbar gemacht. Das geht von vermeintlich harmlosen Anmerkungen, dass Schüler*innen auch für Streiks keinen Unterricht verpassen dürfen, bis hin zu gefährlichen Fremddiagnosen und Behandlungsvorschlägen.
In diesem Fall geht Tone Policing sogar einen Schritt weiter, denn nicht unbedingt ihr Tonfall wird kritisiert. Hier greift zusätzlich Behindertenfeindlichkeit. Welche ekligen Nachrichten weiße, alte Typen auf Twitter über Greta verbreitet haben, erspare ich euch hier lieber. Nicht-Betroffene scheinen zu glauben, alles über Asperger zu wissen und damit das Recht zu haben, über Betroffene zu urteilen. Und so kommt es besonders in Greta Thunbergs Fall dazu, dass ihr aufgrund ihres Autismus das Rederecht an sich abgesprochen wird. Und wenn sie doch redet, dann sei das nichts wert, weil sie Autistin ist. Dabei ist Greta Thunberg ein Mensch auf dem Autismus-Spektrum — und nicht Autismus, an dem zufällig auch noch ein Mensch mit Stimmbändern dranhängt. Das ist ein perfides und ekelhaftes Tone Policing, das ihr nicht mal unter der Bedingung, dass sie freundlich und höflich ist (und das ist sie), ein Rederecht zuspricht, und zeigt damit deutlich die Behindertenfeindlichkeit unserer Gesellschaft.
Stonewall was a riot
Marsha P. Johnson war eine Schwarze trans Frau, die 1969 in Stonewall den ersten Stein warf. Sie ist damit eine der Initiatorinnen der gay prides, die jedes Jahr in vielen Städten auf der ganzen Welt stattfinden. Die Christopher Street Days und Prides sind mittlerweile fröhliche, laute und bunte Partyevents, die mit den Stonewall riots nicht mehr zu vergleichen sind. Unsere CSDs würden so nicht existieren, wäre Marsha P. Johnson damals freundlich geblieben. Wir haben es ihr zu verdanken, dass wir heute feiern dürfen. Und wir sollten sie nachwievor als Vorbild nehmen, wenn wir weiterkommen wollen. Wir müssen nicht freundlich unsere Existenz diskutieren, wir dürfen fordern. Laut, wütend, emotional. Wir müssen uns nicht an euer Harmoniebedürfnis anpassen und leise „Bitte bitte“ sagen, wenn wir Rechte einfordern, die ihr uns vorenthalten wollt.
Freundlichkeit hat uns noch nie weiter gebracht. Wenn ihr Freundlichkeit fordert, haltet ihr nur weiter an eurer Macht fest. Ihr schreibt uns vor, wie wir zu existieren haben. Wenn betroffene Personen emotional, wütend und laut von Vorfällen berichten oder auf Kommentare antworten, gibt es dafür immer einen Auslöser. Sie hören oder lesen das nicht zum ersten Mal (ja, damit meine ich, dass deine Nachfrage der Auslöser ist) und die berichteten Erfahrungen erleben sie ständig. Es ist vollkommen menschlich, emotional darüber zu sprechen — wo sollen Betroffene ihre Gefühle auch plötzlich hinstecken? Und warum?! Es ist eine privilegierte Anspruchshaltung, Freundlichkeit in politischen Diskussionen zu fordern. So ein Diskurs muss nicht sachlich sein — und wenn du auf Sachlichkeit bestehst und unter anderen Bedingungen keinen Bock hast, dann halt einfach generell deine Fresse. Und um einige Antworten auf „Aber was dürfen wir dann überhaupt noch sagen?“ vorwegzunehmen, hier ein paar Vorschläge, wie ihr auf harte, wütende und emotionale Texte reagieren könntet:
- Teilt den Text kommentarlos.
- Schreibt nichts dazu.
- Gar nichts.
- Geht tief in euch und überlegt, ob euer Kommentar inhaltlich etwas Sinnvolles hinzufügt.
- Geht besonders tief in euch, wenn euer Kommentar mit „aber“ anfängt oder die Worte „Verallgemeinerung“ und „nicht alle“ enthält.
- Bedenkt, dass es nicht immer um euch persönlich geht.
- Bedankt euch für den Text oder den Hinweis.
Weitere Texte:
- zum Thema Autismus: „Autismus mal anders“ (Buch) von Aleksander Knauerhase
- Warum Greta Thunberg recht hat
- Racism 101: Tone Policing (engl.)
- Podcast-Folge „Darf sie das?“ von Nicole Schöndorfer zum Thema Tone Policing