Gefühlt sind die zwei häufigsten Sätze, die ich von meiner Mutter gehört habe: „Lach doch mal!“ und „Runzel die Stirn nicht so, es reicht, dass ich Falten habe“. Vor allem Ersteres habe ich auch von vielen anderen Leuten gehört, auch gerne in Abwandlungen. „Du guckst so ernst“, zum Beispiel. Aber auch die Annahme, ich sei arrogant oder gar ich hätte Liebeskummer, fand ihren Ursprung einfach nur in der Tatsache, dass ich nicht 24 Stunden am Tag mit einem aufgesetzten Lächeln im Gesicht herumlaufe.
Ich bin keine Deko
Das wäre gar nicht so schlimm, wenn die Welt von mir als Mädchen und heute auch als cis Frau nicht erwarten würde, ich sei immer gut gelaunt. Die Sonnenscheinmentalität ist mir weder in die Wiege gelegt worden, noch sehe ich ein, dass ich mich verstellen soll, nur damit andere ihr toxisches Geschlechterverständnis aufrechterhalten können. Denn dieses erwartete Lächeln betrifft alle, die von anderen als Frauen gelesen werden. Begründet wurde die Vorstellung der immer fröhlichen cis Frau von dem Irrglauben, sie wäre zu höherer Denkleistung oder gar Kultur gar nicht fähig. Gebt Freud oder der Aufklärung die Schuld, aber im Grunde gehört beides zum Zeitgeist des Patriarchats. Wo cis Frauen jedwede Denkleistung abgesprochen wird und sie nur noch als wohlerzogenes Dekoelement dienen, ist ihre eigene Aufgabe nett auszusehen und dabei eben zu lächeln.
Das zeigt sich auch, wenn es ums Altern geht. Dass Männer reif und interessant werden, während cis Frauen Falten bekommen und alt werden, ist mittlerweile bereits zum allgemeingültigen Klischee geworden. Auch auf Fotos ist es absolut vertretbar, wenn die sogenannten Herren der Schöpfung ernst und konzentriert aussehen, cis Frauen aber sollen sich offen zeigen und lächeln. Für cis Frauen, deren standardmäßiger Gesichtsausdruck kein verklärtes Lächeln ist, wurde sogar der Begriff des „Resting Bitch Face“ etabliert. Klar, wenn SIE im sogenannten Normalzustand kein Honigkuchenpferdgrinsen drauf hat, ist sie eben eine Bitch. Beleidigung gratis und eine doppelte Diskriminierung für alle, die fälschlicherweise für Frauen gehalten werden.
Kein Grund zu Lächeln
Die ständige Konditionierung bei allem zu Lächeln sorgt aber auch dafür, dass cis Frauen auch Depressionen und Probleme hinter der Fassade ihres freundlichen Gesichts verstecken können. Solange wir lächeln, ist alles gut. Nicht nur für uns, sondern auch für unsere Umwelt, denn solange wir unsere Wehwehchen und Schwierigkeiten weglächeln, braucht sich ja auch niemand darum zu kümmern, dass es besser wird. Der Kreislauf des Patriarchats, der cis Frauen, nicht-binäre Menschen und trans Identitäten erniedrigt und aus dieser Diskriminierung die Legitimation zum Weitermachen zieht, ist so perfide wie simpel und offensichtlich wirkungsvoll. Wenn dann noch ein nettes Zwinkern als “Waffe der Frau” betitelt wird, ist das Konstrukt perfekt. Die Reduzierung auf das Aussehen und die Behauptung, das sei eine Stärke, funktioniert bei vielen viel zu gut. Mir ist da längst das Lächeln vergangen.
Diese Erwartung nicht zu erfüllen, ist dann eben keine Kritik oder echte Verwendung von Mimik, sondern Unfähigkeit. Genauso wie die Falten nicht etwa dem Alter geschuldet werden, sondern als Versagen der cis Frau, die ihre Stirn zu oft gerunzelt hat, deklariert werden, ist eine cis Frau, die es nicht vermag, tagtäglich alles wegzulächeln, defizitär. Und wir haben es so sehr verinnerlicht, dass wir kleinen Mädchen attestierten, wie hübsch sie doch sind, statt ehrliche Unterhaltungen mit ihnen zu führen und andere Werte als ihr Aussehen zu betonen. Wer will schon klug, mutig, stark oder wild sein, wenn ein hübsch im Auge des Patriarchats nicht nur völlig ausreicht, sondern auch viel mehr wert ist.
Indoktriniertes Lächeln
Meiner Mutter mache ich übrigens keinen Vorwurf. Sie hat mir beigebracht, dass klug zu sein und für die eigenen Interessen einzutreten, sich nicht unterkriegen zu lassen und unabhängig zu sein, trotz aller herabwürdigenden, toxischen Sprüche mehr wert ist als ein Lächeln. Und als ich zuletzt mit meiner 90-jährigen Großmutter geskypt habe, meinte die zu mir, ich solle nicht so die Stirn runzeln, sie hätte Falten für uns beide genug. Meine Oma, die jede ihrer Falten als ehrlich verdient betrachtet, folgt also dem gleichen Duktus des internalisierten Sexismus. Mittlerweile aber mache ich beide darauf aufmerksam und sie sind einsichtig, geben mir recht und lassen mir sowohl meine Falten als auch mein ernstes Gesicht. Und mit etwas Glück muss sich meine Tochter die Betonung ihres Lächelns nicht mehr ganz so oft anhören, wie ich.