Nichts formt unsere Wahrnehmung so, wie Sprache. Eltern fiebern den ersten Worten ihrer Nachkommen entgegen. Fachbegriffe oder dialektale Ausdrücke sind Ansatzpunkte, an denen andere ihr Fremdbild von uns erstellen. Wir haben einen passiven Wortschatz an Begriffen, die wir kennen und verstehen, aber nicht nutzen. Daneben gibt es unseren aktiven Wortschatz, den wir täglich verwenden und der sich permanent ändert, weil wir neue Begriffe kennenlernen und andere in die Passivität verbannen. Sprache formt unser Verständnis der Welt und auch unsere Identität. Darum ist es geradezu lächerlich, wenn Uneinsichtigkeit herrscht, sobald es darum geht, Sprache inklusiver zu gestalten.
Gendergerecht?
Kürzlich wurde ein Gesetzestext abgelehnt, weil er im generischen Femininum verfasst wurde. Er wäre dann nicht allgemein gültig, war die Begründung. Lassen wir uns kurz auf dieses groteske Spiel ein, in dem das generische Maskulinum Frauen, trans Personen und nicht binäre ja mitmeine, aber anders herum funktioniere das nicht. Aus sprachhistorischer Sicht ist das schlicht falsch. Frau Müllerin war eben kein weiblicher Müller, sondern die Gattin eines Müllers. Noch heute ist die Endung -in unbewusst negativ konnotiert, dank der jahrhundertelangen Unterdrückung von Frauen.
Intuitiv verorten die meisten eine Lehrerin in der Grundschule, den Lehrer aber an der höheren Schule. Der Gag, dass ein:e Patient:in die Ärztin mit „Schwester“ anspricht hat einen langen Bart und glücklicherweise sickert auch zur Masse der Bevölkerung in dicken Tropfen durch, dass es mehr als nur zwei Geschlechter gibt. Aber keine Angst, ich möchte nicht im blubbernden Brei der Debatte, ob Sprache gendergerecht sein sollte, stochern. Denn, Hell yeah, das sollte sie und aus meiner Perspektive ist das schlicht offensichtlich.
Stattdessen bohren wir tiefer, denn auch mit gendergerechten Endungen gibt es in der deutschen Sprache einige misogyne Begriffe, die sich fest in den Alltag verankert haben. Ab damit in den passiven Wortschatz, gar nicht erst verwenden oder weitergeben. (Klappt übrigens auch bei rassistischen, transfeindlichen und ableistischen Begriffen):
Die Geschichte des Vibrators
Hysterie/hysterisch: Wird leider immer noch als psychologischer Begriff genutzt, obwohl die Fachsprache glücklicherweise davon abgekommen ist. Verstanden wurde es als eine Art Neurose. Heute wird „hysterisch“ gerne als Synonym für „panisch“, „aufbrausend“, „reizbar“ oder „sehr aufgeregt“ benutzt. Doch ein kleiner Blick auf die Wortherkunft lässt schon erahnen, warum dieses Wort problematisch ist. Denn es stammt vom griechischen hystéra, was nichts anderes als Gebärmutter bedeutet. Somit war auch die Hysterie eine regelrechte „Frauenkrankheit“ (sic!). Männer konnten diesem Verständnis nach gar nicht hysterisch werden. Die Definition ermöglichte es stattdessen, dass cis Frauen, die laut wurden, sich nicht an patriarchale Normen hielten und ihre eigenen Wege gingen, als hysterisch eingestuft wurden, also als krank und als nicht ernstzunehmen.
Medizinisch behandelt wurden sie, indem die Ärzte die Klitoris der Frau massierten, bis diese sich entspannen konnten. Ja, genau. Den angeblichen Patientinnen wurde ein Orgasmus zwangsverschrieben, was so schrecklich war, wie es klingt. Als ein Mediziner ein Gerät zur Massage von Männermuskeln erfand, dass länglich war und vorne abgerundet, leicht vibrierte und damit die müden Ärztehände entlasten konnte, nutzte man(n) dieser Prototyp des Vibrators zur Behandlung. Der Begriff Hysterie ist darum auf mehreren Ebenen problematisch. Erstens wurden ernste Neurosen nicht als solche erkannt und behandelt, zweitens wurden stattdessen dem Patriarchat unliebsame Frauen mehr oder weniger medizinisch vergewaltigt und drittens liegt in dieser Historie auch noch der Gedanke „Die muss nur mal wieder ordentlich durchgenommen werden“ begründet. Streicht das Wort aus eurer Alltagssprache und verschenkt qualitativ hochwertige Vibratoren, wenn ihr es bereits benutzt habt.
Zickige Hexen?
Ein weiteres Wort, um das ich einen großen Bogen mache, ist Zicke bzw. zickig, außer ich stehe im Ziegengehege. Hier ist die Problematik wesentlich offensichtlicher. Cis und trans Frauen und Personen, die fälschlicherweise für Frauen gehalten werden, die Paroli bieten oder dominant auftreten, werden zu Zicken degradiert. Damit wird ihnen ihre Aussagekraft abgesprochen. Ihr Auftreten wird mit angeblich weiblicher „Meckerei“ erklärt. Das macht gleichzeitig ihre Argumente und den Grund ihres Einspruchs zunichte. Männliche Zicken gibt es nicht.
Das gleiche gilt für den Begriff „Schlampe“, der erst eine unordentliche cis Frau bezeichnet hat (denn oh weh, eine Frau, die ihr Haus nicht sauber hält macht ja wohl alles falsch) und mittlerweile cis Frauen meint, die je nach Auge des Betrachters zu viele Sexualpartner:innen hat(te). Der Begriff wird dementsprechend auf für trans Frauen und nicht binäre Personen, die als Frauen missinterpretiert werden, verwendet. Cis Männer werden stattdessen als Frauenheld bezeichnet, was ebenso problematisch ist. Und, sorry Boyz, keine Frau, ob cis oder trans, sieht euch als Held, wenn ihr möglichst viele Personen flach gelegt habt.
Übrigens werde ich schreien, dass man es bis Berlin hört, wenn in Bezug zum nächsten Politiker, der Kritik erfährt, von einer Hexenjagd gesprochen wird. Da verfolgt man Jahrzehnte lang wissende cis Frauen, Heilerinnen und Hebammen, laute Frauen, deren Kinder und Personen, die nicht in die binäre, heteronormative, christlich-indoktrinierte Norm passen oder die einfach nur jemand als eine solche bezeichnet hat, ertränkt sie, verbrennt sie, foltert sie, missbraucht sie und sobald ein Dude wegen eines echten Fehlers Gegenwind erfährt ist des genauso schlimm? Joah, ihr mich auch! Auf die unterschiedliche Bewertung von Begriffen wie Zauberer und Hexe möchte ich hier gar nicht eingehen. Wer noch nicht gemerkt hat, dass männliche Bezeichnungen IMMER besser weg kommen, darf sich gerne anderswo ein paar Basics anlesen.
Mehr Sprache, weniger Misogynität
So ein Basic ist ja im Grunde auch, dass der Begriff „Fräulein“ völlig zurecht aus Formularen verschwunden ist. Eine cis Frau muss nicht erst heiraten, um eine vollwertige Frau zu sein (Sie muss übrigens auch nicht erst Mutter werden). Leider höre ich das Wort immer noch, vor allem abwertend als Ansprache für Mädchen und junge Frauen. Apropos. Warum Erwachsene sich nicht als Mädchen bezeichnen sollten, hat Mareike schon einmal für euch aufgeschrieben. Und bitte benutzt Kosenamen auch wirklich nur für euch nahestehende Personen. Generell. Den nächsten Kerl, der mich einfach so Schätzchen, Püppi oder Liebes nennt, werde ich ohne mit der Wimper zu zucken Häschen nennen.
Natürlich verschwimmen am Ende die Grenzen. Manche Begriffe sind nur aus individuellen Perspektiven belastet. Ich hatte vor einiger Zeit ein Gespräch mit meiner Mutter, in dem ich sie bat, andere Frauen (cis und trans) nicht als „Tussi“ zu bezeichnen, weil ich das extrem abwertend verstehe. Sie war entsetzt, weil es für sie nur ein Synonym für „Frau“ ist. Aus meiner Perspektive bezeichnet es aber eine affektierte weibliche Person. Andere sind von ihrer Grundhaltung schon derb misogyn. Beispielsweise habe ich euch an anderer Stelle bereits aufgeschrieben, warum der Satz „du bist ja keine richtige Frau“ generell problematisch ist. Manchmal reicht die Misogynie eben über ein einfaches Wort hinaus. Sätze wie „die braucht einen Mann“ für Single-Frauen oder „jetzt hast du endlich was zu tun“ gegenüber frischgebackenen Müttern sind so unnötig wie beleidigend.
Wer übrigens damit kommt, dass die Kritik an misogyner Sprache seinen oder ihren Alltag beschneidet, darf sich gerne mal mit der wunderschönen Fülle der deutschen Sprache beschäftigen, die in vielen Bereichen bereits weiter ist, als es manchmal den Eindruck hat. Statt „Muttersprache“ können wir „Erstsprache“ benutzen, was einfach viel adäquater und genauer ist. Auch cis Frau bezeichnet einfach viel detaillierter, was gerade gemeint ist, als wenn „cis“ fehlen würde. Unsere Sprache wird durch Debatten um gendergerechte (oder anti-rassistische etc.) Sprache also nicht beschnitten. Sie wird vielmehr ergänzt. Sie wächst und ermöglicht es uns, spezifischer zu sagen, was gemeint ist. Wer unsere Sprache wirklich liebt, wird ihr bei dieser Entwicklung helfen.