Manchmal gibt es so Momente, die sind wie ein deftiger Faustschlag in die Fresse von uns intersektionalen Feminist:innen. Kürzlich, als KiWi ein neues Buch von Alice Schwarzer vorstellte, war so ein Moment. Da schreiben wir uns die Finger wund und reden uns den Mund fusselig, dass Feminismus kein weißer cis Feminismus sein darf, und ein renommierter Publikumsverlag druckt das Buch einer rassistischen queerfeindlichen „Feministin“ und bewirbt es groß. Ausgerechnet KiWi, die mit der Veröffentlichung von Till Lindemanns Buch und dem Vergewaltigungsgedicht darin erst extrem fragwürdig ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft mit Füßen getreten haben.
Das Problem mit den Medien
Denn, seien wir ehrlich, viele Leute werden auf diese Bücher aufmerksam, die sonst mit Feminismus wenig am Hut haben. Wie oft ich mich als Feministin von Alice Schwarzer abgrenzen musste, weil alle glauben, sie wäre eine Leitfigur, kann ich schon gar nicht mehr zählen. Wie viele Leute, die von dichterischer Freiheit absolut keinen Schimmer haben, haben Till Lindemann den Rücken gestreichelt, als die Diskussion zu seinem Gedicht hoch schwappte? Diese Bücher wurden der breiten Masse der Gesellschaft als eine Art „Norm“ verkauft, weil ein großer Verlag sie veröffentlicht hat. Erneut denken diesen Herbst dutzende Menschen „ach die Schwarzer, das ist Feminismus“, die noch nicht einmal wissen, was intersektionaler Feminismus bedeutet.
Medien prägen unser Verständnis der Welt, sie erzeugen Fixpunkte, die zur Legitimation unserer individuellen Wirklichkeitskonstruktionen beitragen. Sie belegen uns, was auf der weiten Welt passiert, überbrücken Distanzen und Zeiten, sind Kommunikationsmittel und formen das, was als Norm bekannt ist. Insofern hat ein Unternehmen, das Medien produziert, wie Verlage es tun, eine immense Verantwortung hinsichtlich der Entwicklung von Kultur und Gesellschaft. KiWi sagt mit der Veröffentlichung dieser Bücher eine Menge aus. Natürlich spielen dabei kapitalistische Wirtschaftsargumente mit, aber nicht zuletzt ist es eine Entscheidung des Verlags, die Aussagen von Lindemann oder Schwarzer zu publizieren, zugänglich zu machen und damit das Bild der Menschen von unserer Welt mit zu formen.
Aussagen durch Legitimation
KiWi sagt im Grunde, dass Schwarzers Aussagen legitim und richtig sind, dass sie immer noch Feminismus repräsentiert und ihre Stimme gehört werden sollte. Das widerspricht so ziemlich allem, was ich über modernen Feminismus weiß. Für Menschen, die weniger wissen, aber ist Alice Schwarzer fälschlicherweise einmal mehr Leitfigur der feministischen Bewegung. Noch schlimmer wird die Aussagen, wenn diese Menschen wissen, wie hochproblematisch Schwarzers Aussagen hinsichtlich beispielsweise der Kopftuchdebatte sind. Dem Feminismus werden hierdurch regelrecht Steine in den Weg gelegt. Leider folgt KiWi hier einem Trend, der sich wenig um die Aussagen von Autor:innen kümmert, sondern viel mehr deren Bekanntheitsgrad nutzt. Auch andere Verlage ziehen sich aus den Debatten um ihre Autor:innen zurück, wenn es wirklich kritisch wird.
Carlsen beispielsweise hat nie ein Wort über J.K. Rowlings offene Transfeindlichkeit verloren. Auch nicht, als sich Mitarbeiter:inner an Rowlings Kinderbuch von diesem distanziert und ihre Arbeit daran eingestellt hatten. Immer noch werden Rowlings Bücher offen und breit von Carlsen beworben. Eine ernstzunehmende Stellungnahme findet sich nicht. Hier geht es, das ist schnell klar, um Geld. Gewinn wird der gesellschaftlichen Verantwortung vorgezogen. Gegendarstellungen fehlen. KiWi hätte beispielsweise im selben Zug ein intersektional feministisches Buch herausgeben und so die Debatte unterstützen können. Dann würde Schwarzers Aussage nicht mehr als Nonplusultra da stehen. Natürlich wäre es noch besser gewesen, stattdessen nur das Buch einer intersektionalen Feminist:in herauszugeben, und Schwarzer gar keine Bühne zu bieten.
Liebe Verlage, wir sind hier!
Verlage formen durch ihre Veröffentlichungen und ihren Anteil am kulturellen und medialen Angebot unsere Gesellschaft mir. Wir lesen, wir reagieren darauf, wir formen anhand dessen unsere Meinung. Dessen müssen sich auch kapitalistische Unternehmen bewusst sein. Diese Verantwortung wird allzu oft mit Füßen getreten, nur weil sich ein großer Gewinn abzeichnet. Und so kommt es, dass Stimmen in unserer Welt laut werden, die in eine Richtung voller Misogynie und Diskriminierung leiten, die andere unterdrücken, um selbst groß zu werden und andere, intersektionale Stimmen unhörbar machen.
Was können wir dagegen tun? Boykott? Kann gut funktionieren, wenn genug Menschen an einem Strang ziehen. Offene Kritik? Zeigt laut, dass es Stimmen dagegen gibt, reproduziert aber auch oft die andere Aussage mit, um überhaupt qualitativ kritisieren zu können. Gar nichts tun? Wer gar nichts tut, unterstützt am Ende durch Wegschauen. Wir können nicht nicht reagieren, denn schon mit dem Ignorieren solcher Bücher sagen wir aus, dass ihre Aussagen stehen bleiben können.
Wichtig ist: keine Plattform bieten. Wenn ihr solche Bücher kritisiert, dann ohne ihre Aussagen zu wiederholen. Die Problematik besteht ja schon darin, dass Menschen, die solche diskriminierenden Aussagen propagieren, Bücher veröffentlichen. Kauft sie nicht, zeigt sie nicht, nennt ihre Titel nicht. Macht sie so unsichtbar wie möglich, kritisiert sie so laut wie möglich. Macht den Verlagen klar, dass sie ihre Verantwortung ernst nehmen müssen und macht euch als Leser:innen und Konsument:innen eurer eigenen Verantwortung bewusst. Und falls doch noch ein Verlag lieber eine intersektionale Feminist:in publizieren möchte: Wir sind hier!