Vor Kurzem erreichte mich eine Entdeckung der Geschichte, die gleichzeitig bedeutend und in ihrer Konsequenz nur logisch war: Das Bild der Steinzeitmenschen, bei denen die Männer jagen und die Frauen sammeln, ist falsch. 30 bis 50% der Jäger:innen, so die neuesten Erkenntnisse, waren Jägerinnen. Dass dies lange Zeit als Ausnahme galt und damit als historisch vernachlässigbar liegt nicht etwa daran, dass erst heute Gräber von Jägerinnen gefunden wurden, sondern dass die vermeintlichen Männer das erste Mal auf Geschlechtsmerkmale überprüft wurden.
Nun ist es so, dass die heute noch erkenntlichen Merkmale sich auf Beckenform, Genomteile und Beigaben in den Gräbern beziehen. Es ist also genauso denkbar, dass diese „Jägerinnen“ trans Männer waren und damit der männliche Jäger weiterhin als Faktum bestünde. Gehen wir jetzt aber einfach mal davon aus, dass zumindest einige dieser Gebeine auf cis Frauen zurückgehen. Es gab Jägerinnen. Sie haben sich todesmutig mit großen Beutetieren angelegt und wurden nicht aufgrund einer möglichen Gebärfähigkeit an die Lagerplätze verbannt. Sie haben die körperliche Anstrengung ertragen, und das wurde nicht nur akzeptiert, sondern zeigt sich in der Gestaltung der Gräber, die sich nicht maßgeblich von denen ihrer männlichen Kollegen unterscheiden, auch in einer Wertigkeit, die wir heute nur als gleichberechtigt bezeichnen können.
Von wegen natürliche Ordnung
Dennoch hat der männliche Blick der Geschichtsschreibung dazu geführt, dass sie lange Zeit als männliche Jäger wahrgenommen wurden. Ihre Arbeit wurde insofern unsichtbar gemacht, als dass sie mit ihrer Weiblichkeit als unvereinbar angenommen wurde. Und dieser Blick des Patriarchats auf unsere Geschichte, die gleichzeitig als Legitimation für heutige Ungerechtigkeiten aufgeführt wird, bezieht sich nicht nur auf Jägerinnen. Auch ein Krieger der Wikinger stellte sich in der Nachforschung als vermutliche Kriegerin heraus – so ehrenvoll bestattet, dass die Entdeckung immer wieder als unzureichend abgetan wurde.
Wohlgemerkt: Sie wurde nicht mit dem Argument abgetan, dass ein DNS-Ergebnis allein noch keine Frau ausmacht (nicht jede Person mit XX-Chromosomen ist eine Frau), sondern mit der Mutmaßung, man hätte Knochenproben vertauscht oder ähnliches. Das Festhalten an der Vorstellung, dass Frauen immer schon unterdrückt wurden, weil dies eine geradezu natürliche Ordnung darstellt, ist erschreckend. Tatsächlich weiß man schon länger, dass auch Wikingerinnen gekämpft haben, auch wenn sie durchaus nicht als gleichberechtigt verstanden werden dürfen. Doch dass diese Kriegerinnen eine solche Ehrung erfahren haben, war neu und offensichtlich unglaublich.
Von der bedeutenden Künstlerin zur Schülerin
Immer wieder passiert es, dass die Leistung von Frauen im geschichtlichen Rückblick abgewertet wird. „Geschlecht und Sexualität sind niemals ahistorische, biologisch festgelegte Konstanten, sondern sie sind verhandelbar“, schreibt der Historiker Robert Kamm. Doch auch die Wertigkeiten sowie die Fähigkeitenhorizonte, die Geschlechtszuschreibungen mit sich bringen, sind unter dem patriarchalen Blick geformt. Rosalie Amon, die Mitte des 19. Jahrhunderts eine bekannte Künstlerin war, wird heute nur mit Verweis auf ihren bedeutenden Lehrer genannt. Das geht soweit, dass beispielsweise eines ihrer Bilder heute als gemeinsame Arbeit gilt, ohne dass es dafür tatsächlich Belege gäbe. Hier zeigt sich, wie fatalistisch die Reduzierung der weiblichen Arbeit daherkommt. Die Künstlerin Rosalia Amon selbst wird nur noch als Schülerin genannt, ihr Werk dem Lehrer zugeschrieben. Das ist eine unverschämte Auslöschung weiblichen Schaffens.
Unsere Geschichte ist manipuliert
Dabei ist gerade die Geschichte so ein bedeutendes Feld, weil hier Rückbezüge und Identitätskonstruktionen, die für ganze Kulturen Bestand haben, vereint sind. Wir orientieren uns an Geschichte, beziehen daraus das, was wir Tradition nennen, und legen Normen anhand historischer Parameter fest. Unsere patriarchale Welt wirkt jedoch in ihrer Sichtweise auf historische Belge derart manipulierend, dass sie sich nur selbst bestätigt, anstatt ehrlich die multiplen Entwürfe einzugestehen, die die Welt längst kennt. Das bezieht sich nicht nur auf die historische Unsichtbarkeit von Frauen und ihrem Anteil an früheren Gesellschaften.
2001 wurde in Landshut ein Grab freigelegt, das zwei Krieger beinhaltete, die sich an den Händen hielten. Als „unzertrennliche Kampfgefährten“ bezeichnete sie der Spiegel. Auf die Idee, dass diese intime Geste und die Art und Weise des Doppelgrabes auch auf ein homosexuelles Paar verweisen oder dass eines der Skelette das einer trans Frau sein könnte, kam scheinbar niemand. Auch hier dominierte der patriarchale Blick, der außerhalb der cis Männlichkeit keine Entwürfe kennt. Unsere Geschichte ist eine verfälschte, eine die Sätze wie „Das war schon immer so“ ermöglicht, ohne dass sie wahr sind. Sie macht nur sichtbar, wen sie sichtbar machen will. Darum müssen wir sie immer wieder hinterfragen und neu interpretieren. Sie ist nicht, war nicht und wird nie in Stein gemeißelt sein.