Auf dem Literaturcamp in Heidelberg, das Ende Juni stattfand, gab es einige Sessions zu Diversität in Büchern. Zugegeben, der deutsche Buchmarkt tut sich noch schwer mit Büchern von und über mehrfach marginalisierte Gruppen (queer, BI_PoC, Menschen mit Behinderungen, usw.). Seit diesem Jahr gibt es für Autor*innen den Dienst, sogenannte Sensitivity Reader, also selbst Betroffene, über den Plot und die Geschichte lesen zu lassen, um in zukünftigen Romanen und Büchern diskriminierende und rassistische Sprache zu verhindern.
Mich hat das in der Kombination auf die Idee gebracht, mir mal den Serienmarkt anzuschauen – und hier einer der größten Streaminganbieter, das Angebot auf Netflix, mal näher zu analysieren in Bezug auf ein Angebot von LGBTIQA+-Serien.
Zum Pride Month diesen Jahres (Juni) führte Netflix selbst diese Sparte (und hat immer mal wieder Angebote auch so sortiert) und bietet derzeit das größte gesammelte Angebot an LGBTIQA+-Serien/Filmen/Dokumentationen etc.
Zeit, ein paar wirklich sehenswerte Highlights zu empfehlen.
CN: Vergewaltigung, Homophobie, Rassismus, explicit content (Sex)
– Keine Spoiler enthalten –
Genre: Queeres Leben
Tales of the City / Stadtgeschichten
Inhalt: In der Barbary Lane 28 in San Francisco beherbergt Anna Madrigal (90 Jahre alt) in ihrem Haus eine junge Generation von queeren Menschen. Neben vielen Alltagsgeschichten, stehen einige Personen nun auch vor dem Problem, die Vergangenheit zu bewältigen: Mary Ann kommt, nachdem sie sich vor 20 Jahren für eine Karriere und gegen ihre queere Wahlfamilie entschieden hat, zurück zur Barbary Lane und sorgt so für viel Chaos in der großen LGBTIQA+-WG.
Das Besondere: Stadtgeschichten ist ein Spin-Off und basiert auf der Bücherreihe von Armistead Maupin, die erstmalig in den 1970ern veröffentlicht wurde. Daraufhin gab es einige Verfilmungen der Reihe. Der Autor selbst ist homosexuell und hat die Geschichten somit auch als own voice verfasst. Herausragend an der 2019-Serienneuauflage ist, dass nicht nur der komplette Cast der LGBTIQA+-Szene zugehörig ist, sondern auch erstmals ein Drehbuchautor*innen-Team zusammengestellt wurde aus der queeren Szene – für eine Hollywood-Produktion bisher ziemlich einmalig.
Staffelanzahl: 1 (zudem gibt es frühere Serienversionen ebenfalls auf Netflix zu sehen)
Sex Education
Inhalt: Otis Milburn ist der Sohn der stadtweit bekannten Sextherapeutin Jean Milburn und kann diesen Umstand auch auf seiner Schule nicht lange geheim halten. Schließlich ist es aber er, der seinen Mitschüler*innen auch in Sexfragen weiterhilft und mit Hilfe einer guten Freundin zum populären Ansprechpartner in Sachen Beziehung wird.
Das Besondere: In der Serie Sex Education werden einige Themen aus dem LGBTIQA+-Spektrum erzählt. Zu der Erfahrung von ersten sexuellen Handlungen in der Pubertät oder auch keinen haben zu wollen, wie Otis selbst, gehört der Selbstfindungsprozess und auch die eigenen Vorlieben zum Teenageralter dazu. Um die queere Repräsentation besser abbilden zu können, gab es im Drehbuchautor*innen-Team selbst Betroffene.
Staffelanzahl: 1 (die zweite Staffel wurde Ende Januar 2019 bestellt.)
One Day At A Time
Inhalt: Zum Inhalt hat Lara bereits hier eine ganze Menge geschrieben. Ergänzend dazu ist zu sagen, dass queere Themen in der Serie immer wieder eine wichtige Rolle spielen. Einer der Haupdarsteller*innen outet sich in ihrer Pubertät als lesbisch und setzt sich auch in Folge dessen immer wieder für queer rights ein.
Das Besondere: Neben den vielen politischen, aktivistischen und komplexen Themen in der Serie, ist das Tolle, dass auch hier viele own voice Darsteller*innen im Hauptcast vertreten sind. Zwei von ihnen synchronisieren ihre eigenen Stimmen für die spanische Version selbst. In Bezug auf LGBTIQA+-Themen sei hier noch erwähnt, dass in der englischen Originalversion auch „they” als Personalpronomen (3. Person Singular) vorkommt; etwas, das in der deutschen Version leider falsch übersetzt wird.
Staffelanzahl: 3 (eine weitere wurde von CBS angefragt und eingekauft, nachdem das Absetzen der Serie von Netflix zu weltweiten Protesten führte.)
Easy
Inhalt: Insgesamt acht voneinander teils unabhängig (befreundete) Menschen und Pärchen, die in Chicago leben, kämpfen sich immer wieder durch das Labyrinth ihrer Beziehungen, Lebensmodelle und der heutigen Digitalisierung – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.
Das Besondere: Neben dem Serienformat an sich, dass es in jeder Folge um eine andere Beziehungsstruktur geht und man als Zuschauer*in nicht weiß, wann es in welchen Folgen mit den unterschiedlichsten Paar-Konstruktionen weiter geht, widmet sich die Folge „Vegan Cinderella” (Staffel 1, Folge 2) komplett einer weiblich-queeren Beziehung. Warum das sehr gelungen ist und nahe an der Lebensrealität queerer Menschen dargestellt ist, ist u.a. auch hier nochmal nachzulesen (nicht spoilerfrei).
Staffelanzahl: 3
Everything sucks
Inhalt: Die Geschichte folgt zwei Gruppen von Außenseiter*innen an der Boring High School in Oregon 1996, dem Videoclub und der Schauspiel-AG. Die Serie folgt sowohl dem schulischen, wie auch dem privaten Weg, der sich auf die Entdeckung der ersten Liebesbeziehungen konzentriert.
Das Besondere: Neben der authentischen Darstellung der 90er Jahre, wurde die Serie vor allem für die ebenso lebensnahe Darstellung der Hauptdarstellerin gefeiert, die sich in ihrer Pubertät als lesbisch outet und für ihre Rechte kämpft. Warum das in den 90ern noch besonderer war als heute, zeigt Netflix in einem anschaulichen Zusammenschnitt von Everything sucks mit Serien, die heutzutage spielen und LGBTIQA+-Themen aufgreifen.
Staffelanzahl: 1 (trotz Cliffhangern und positiver Resonanz wurde die Serie nicht fortgesetzt.)
You Me Her
Inhalt: Ein verheiratetes Pärchen (männlich/weiblich) geht, nachdem es betttechnisch bei ihnen beiden nicht mehr so läuft, eine Beziehung mit einer Frau ein. Im Vorstadtleben in Amerika ist es jedoch gar nicht so einfach eine polyamore Beziehung offen und ehrlich zu führen. Die Drei müssen einige Hürden in ihrem Umfeld überwinden zur Akzeptanz eines Polyküls (Dreiecksbeziehung).
Das Besondere: Auch, wenn die Serie durchaus kritisch zu sehen ist, weil u.a. alles mit Fremdgehen und Verheimlichen beginnt und das der genaue gegenteilige Grundsatz von polyamoren Beziehungen darstellt, ist You Me Her aber immerhin in Ansätzen feiernswert, weil sie die erste Mainstream-Serie ist, die das Thema einer Mehrfach-Beziehung überhaupt und kontinuierlich thematisiert, ja sogar zum Hauptthema macht.
Staffelanzahl: 4
Genre: Dokumentation und Reality-TV
Queer Eye
Inhalt: Queer Eye ist ein Reboot von „Queer Eye for the Straight Guy” (2003-2007) und gibt vier schwulen Männern sowie einer nicht-binären Person (Jonathan Van Ness outete sich vor kurzem als non-binary), die sogenannten „The Fab Five”, die Chance zumeist heterosexuellen Männern in den Bereichen „Essen und Wein”, „Mode”, „Kultur”, „Design” und „Pflege” Nachhilfe zu erteilen (Im Reality-TV-Format).
Das Besondere: Was nach vielen Klischees klingt, ist vor allem eine TV-Show geworden, die um Akzeptanz von jeglicher Art von Queerness kämpft und dabei immer wieder Vorurteile abbaut statt sie weiter zu zementieren. Own-voices-Stimmen zu der Serie gibt es übrigens in diesem Protokoll nachzulesen (nicht spoiler-frei).
Staffelanzahl: 3
Follow This
Inhalt: Follow This ist eine Reportagereihe über die Arbeit BuzzFeed-News. Hier werden Reporter*innen bei der Arbeit begleitet und Zuschauer*innen hinter die Kulissen der Redaktion geführt.
Das Besondere: BuzzFeed-News hat auch von deutschen Redaktion Unterstützung erhalten. So berichtet Juliane Löffler, die hauptsächlich über LGBTIQA+-Themen schreibt, in der Serie Follow This über intersexuelle Personen. Etwas, das derzeit noch deutlich unterrepräsentiert ist in der Medienlandschaft, vor allem in Filmen und Serien.
Staffelanzahl: 3
Genre: Dramedy
Dear White People
Inhalt: Die Handlung der Serie setzt nach dem gleichnamigen Spielfilm ein. Eine Gruppe junger schwarzer Student*innen gehen auf die Winchester-Universität und muss sich dort gegen Rassismus behaupten und kulturelle Vorurteile überwinden. Sie sagen der sozialen Ungerechtigkeit den Kampf an und gehen dabei mit Mut und allen kreativen Mitteln, die einer Millenium-Generation zur Verfügung stehen, vor.
Das Besondere: Neben der wichtigen Repräsentation von (Alltags-)Rassismus, dem BI_PoC tagtäglich ausgesetzt sind, brauchte es dringend eine queere Repräsentation von schwarzen Menschen in Serien/Filmen. Dear White People zeigt genau das – besonders in der zweiten Staffel. Them.us berichtet ausführlich darüber, warum die Serie so sehenswert ist (nicht spoilerfrei).
Staffelanzahl: 3
Orange is the New Black
Inhalt: Die auf der gleichnamigen Autobiografie („Orange is the New Black – Mein Jahr im Frauenknast”) basierende Serie handelt von der weißen Piper Chapman, die von ihrer Vergangenheit eingeholt wird und wegen der 10 Jahre zurückliegenden Drogengeldwäsche zu 15 Monaten Gefängnisstrafe verurteilt wird. Im Frauenknast trifft sie auf ihre Ex-Freundin sowie jeder Menge kultureller und politischer Problematiken.
Das Besondere: Orange is the New Black brilliert gleich durch mehrere Dinge: Das Thema Rassismus und Umgang mit- und untereinander von BI_PoC ist omnipräsent und wird von own voice Darsteller*innen gespielt. Neben gesellschaftlichen Problematiken, ist Queernes ein Dauerthema in der Serie. Nicht nur die Hauptdarstellerin ist bisexuell, viele der Inhaftierten haben Sex mit dem gleichen Geschlecht und identifizieren sich als lesbisch. Neben Homosexualität geht es auch um trans Themen. Laverne Cox wurde für die Rolle einer trans Frau gecastet und ist auch in ihrem realen Leben als trans geoutet. Für ihre Rolle bei OITNB wurde sie als erste trans Schauspielerin für einen Emmy nominiert.
Staffelanzahl: 7
Please Like Me
Inhalt: Josh wird von seiner Freundin verlassen, die ihm vorwirft schwul zu sein. Joshs Arbeitskollege Geoffrey lädt sich direkt selbst zu Josh nach Hause ein, um die freigewordene Stelle an Joshs Seite einzunehmen. Durch weitere Umstände muss Josh wieder zu Hause bei seiner Mutter einziehen und sein Leben stellt sich nicht nur durch sein Coming-Out auf den Kopf.
Das Besondere: Josh Thomas ist ein australischer Komiker, Drehbuchautor und Schauspieler. Er schrieb das Drehbuch zu Please Like Me selbst und spielt die Hauptfigur der Serie ebenfalls selbst – als own voice (homosexuell).
Staffelanzahl: 4
Hannah Gadsby: Nanette
Inhalt: Hannah Gadsby ist eine australische Entertainerin und Fernsehproduzentin. In ihrer Bühnenshow Nanette, die auf Netflix zu sehen ist, erzählt sie eine gute Stunde lang aus ihrem Leben als lesbische Frau.
Das Besondere: Hier trifft Bühnenshow auf bittere Realität. Hannah Gadsby erzählt aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz, von Homofeindlichkeit, der sie tagtäglich ausgesetzt ist sowie sehr eindrücklich von Übergrifflichkeiten, Missbrauch und Vergewaltigung. Es ist die bittere Realität, mit der Tausende Menschen, die sich als queer definieren, auch heutzutage noch jeden Tag zu kämpfen haben weltweit.
Keine Serie; einmalige Folge
Genre: Politthriller
Designated Survivor
Inhalt: Thomas Kirkman ist das einzige überlebende Kabinettsmitglied der USA, nach einer Explosion während der Ansprache zur Lage der Nation. Als Wohnungsbauminister wird er als Notfallüberlebender umgehend zum Präsidenten ernannt und muss versuchen das Land zu leiten. Parteilos und als Freigeist, macht er sich damit natürlich schnell Feinde.
Das Besondere: Neben homosexuellem Leben wird hier auch das Leben von trans Menschen thematisiert – ebenfalls mit einer trans Schauspielerin im Cast (Jamie Clayton).
Staffelanzahl: 3
Genre: Mystery/Science-Fiction/Fantasy
Sense 8
Inhalt: Acht fremde Menschen entdecken ihre gemeinsame Verbindung zueinander. Nach und nach wird diese Verbindung stärker und sie können untereinander ihre Gedanken und Fertigkeiten austauschen. Neben dem eigenen Wunsch herauszufinden, was passiert ist und auf der Suche nach dem Warum sie miteinander verbunden sind, stellen sie schnell fest, dass sie verfolgt und gejagt werden.
Das Besondere: Circa ein Viertel der Darsteller*innen sind im Queerspektrum angesiedelt (z.T. own voice, wie zum Beispiel Jamie Clayton, die auch im realen Leben eine trans Frau ist). Neben Orange is the New Black ist Sense 8 in dieser Liste die Serie mit der darüber hinaus vermutlich meisten Darstellung von nackter Haut und nicht-hetero-Sex-Szenen.
Staffelanzahl: 2
Black Mirror
Inhalt: Black Mirror ist eine Science-Fiction-Serie, die sich mit den Auswirkungen neuster Technik und Technologien auf das tägliche Leben auseinandersetzt, meistens dystopisch und negativ konnotiert. Da jede Folge für sich eine abgeschlossene Handlung hat, geht es hier speziell um eine aus dem Queerspektrum:
Episode „San Junipero” (Folge 3, Staffel 4): 1987 trifft die schüchterne Yorkie im Nachtclub Tucker’s in San Junipero auf die extrovertierte Kelly. Sie tanzen zusammen, erst beim zweiten Zusammentreffen, eine Woche später haben sie Sex. Danach ist Kelly nicht mehr auffindbar und für Yorkie beginnt eine turbulente Suche.
Das Besondere: In der Serie ist dies die erste Folge, in der es um ein homo-/bisexuelles Pärchen geht und dies auch zum Hauptthema gemacht wird. Sowohl die szenische Darstellung in Anlehnung an die Bi-Pride-Flag, als auch das Nicht-Bedienen von klassischen Klischees, zeichnet diese Folge als beste Serienepisode 2016 in diversen Online-Magazinen, zum Beispiel der New York Times, aus.
Staffelanzahl: 5
Genre: Cartoon
She-Ra
Inhalt: She-Ra ist eine Superheldin im „Masters of the Universe”-Franchise. Als Kind wurde Adora von Hordak entführt und zu einer Kämpferin für das Böse ausgebildet. Als He-Man seine Zwillingsschwester befreit und überzeugen kann für das Gute zu kämpfen, beginnt ihr Kampf gegen Hordak.
Das Besondere: Bereits in der 1980er Jahre Version der Serie waren weibliche Charaktere überproportional repräsentativ dargestellt; in der 2018-Auflage geht es neben feministischen Themen dann auch um Queer- & BPoC-Repräsentation. Geek Germany hat über den LGBTIQA+-Faktor der Serie geschrieben und Details analysiert (nicht spoilerfrei).
Staffelanzahl: 2
Steven Universe
Inhalt: In Steven Universe ziehen die drei magischen Edelsteinfrauen den Sohn ihrer ehemaligen Anführerin auf. Dieser muss seine eigenen Fähigkeiten erst noch entdecken und gemeinsam kämpfen sie gegen „korrumpierte” Edelsteine.
Das Besondere: In einem Mainstream-Cartoon wird hier das erste Mal die „Ehe für alle” thematisiert. (Mehr Informationen gibt es auf pride.com, dann aber nicht spoilerfrei)
Staffelanzahl: 5
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