Wann meine aktivistische Arbeit begonnen hat, kann ich gar nicht mehr so genau sagen. Twitter animierte mich dazu, schon mehrere Threads zu feministischen Themen zu schreiben. Irgendwann rutschte der Fokus so wohl auf fast ausschließlich aktivistische Themen: gendergerechte Sprache, Queerness und LGBTIQA+-Themen, Menstruation, Rassismus, Sexismus, (Trans-)Misogynie, Ableismus etc.
Die – auch politische – Positionierung wurde so für Mitlesende und für mich selbst immer klarer. Und sie bliebt nicht nur online, sondern schwappte ganz natürlich auch ins Offline-Leben. Wann immer es geht, versuche ich, das Gendersternchen mit einer Pause zu sprechen, stecke Freund*innen mit Lesetipps an und lese im Wechsel mit meinem Partner Kolumnen von Margarete Stokowski vor.
Was jetzt ein bisschen cheesy klingen mag, ist es im gängigen Alltag allerdings überhaupt nicht. Tatsächlich ist nämlich nur eine bestimmte, eher kleine Gruppe in meinem Umfeld für solche Themen offen; mit ihnen findet viel Austausch statt.
Der größere Teil weiß mit all diesen Dingen nichts anzufangen.
Das macht mich wütend.
Wütend, weil sie alle nicht sehen, wie rücksichtsvoll die Welt sein könnte, wenn man einfach nur an seinem eigenen Sprachgebrauch und Verhalten arbeiten würde.
Wütend, weil so all die oben genannten Dinge, der Einsatz gegen Ungerechtigkeiten, Alltag bleiben muss.
Und hilflos, weil ich nicht immer von vorne anfangen *kann*.
Dazu fehlt mir an manchen Tagen die Kraft. Wir wissen alle, was uns erwartet, wenn wir auf Diskriminierung hinweisen: „War ja nicht so gemeint” oder „Stell dich nicht so an” oder „Sei doch nicht so empfindlich” oder oder oder. Das Aktivist*innen-Bullshit-Bingo ist vermutlich endlos zu füllen mit den immer gleichen Antworten – oftmals alter weißer cis Männer, aber auch anderer, die sich sofort angegriffen fühlen und in Schutzhaltung gehen.
Mir fällt in bestimmten Freund*innen- und Familienkreisen auf: Sage ich als weiblich gelesene Person etwas, wird es ignoriert; wiederholt es mein männlich gelesener Partner, wird es gehört. Auch das macht mich wütend: Cis Männern wird oftmals mehr Gehör geschenkt als allen anderen Personen.
Mich macht wütend, in einem neuen Arbeitskontext „Mädel” genannt zu werden.
Mich macht wütend, wenn ich von generischem Maskulinum umgeben bin in Formulierungen, Präsentationen, Umfragen.
Mich macht wütend, in Baumärkten, Autowerkstätten und von cis männlichen Handwerkern nicht ernst genommen zu werden.
Ich frage mich dann: Wie verdienen Aktivist*innen ihr Geld? Viele Arbeitskontexte sind von gendergerechter Sprache und einem reflektierten Umgang mit Diskriminierung am Arbeitsplatz weit entfernt. Das fängt schon bei der Bezahlung an, um nur ein relativ prominentes Schlagwort in die Runde zu werfen. Also, wo arbeiten Aktivist*innen? Wo können sie sich wohl fühlen in einem Arbeitsumfeld? Wo sind sie „safe”? Wo werden sie gehört und wo akzeptiert?
Mir ist natürlich klar, dass nicht alle Aktivist*innen für große Online-Magazine schreiben können, und dass es auch da dienstliche Vorgaben gibt, Framings und Leitlinien, an die sich gehalten werden muss, auch wenn sie nicht in allen Punkten mit der eigenen Meinung übereinstimmen.
Aber ich bin müde und will nicht immer von vorne beginnen.
Manchmal habe ich das Gefühl, meiner Zeit mindestens 50 Jahre im Voraus zu sein, aber vielleicht sind das auch nur meine eigene Ausreden für die anderen und der Optimismus, die aus mir sprechen. Vielleicht sind die meisten auch auf einem rückschrittlichen Weg.
Ein Indiz dafür könnte die Rosa-Hellblau-Falle sein, die in der Mehrheit der Bevölkerung noch nie so exzessiv gelebt wurde wie jetzt gerade.
Ich selbst möchte bei jedem: „Was wird es denn? … Das muss ich ja für den Kleidungskauf wissen!” einfach nur schreien.
Die Läden hingegen sind voll von rosaner und blauer Kleidung und bestätigen so aus kapitalistischer Berechnung heraus die Ewiggestrigen – vor allem, je günstiger die Kleidung zu haben ist.
(Hier noch einmal der eindringliche Hinweis: Viele Menschen können sich aber eben nichts anderes leisten, als eben jene Kleidung zu kaufen.)
Aktivismus ist für mich ein Gesamtkonzept, das mit jedem darüber Nachdenken immer größer wird, immer umfangreicher. Auch ich lerne jeden Tag dazu, wenn ich Twitter öffne, wenn ich Perspektiven lese, die ich in meinem privilegierten Alltag nicht erfahre oder bis dahin nicht wusste selbst klar zu definieren.
Ich frage mich dann jeden Tag wieder, jeden Tag eindringlicher: Wie können andere Menschen das nicht sehen?
Und, noch viel wichtiger: Wie können wir Aktivist*innen nicht nur Geld verdienen, um in dieser Gesellschaft zu überleben, sondern es auch schaffen, unsere Arbeit in der „Mitte der Gesellschaft” ankommen zu lassen?
Klar, aufgeben ist keine Option. Immer weiter machen. Aktiv sein. Auf die Straße gehen. Das haben gestern viele Millionen weltweit im Zuge des Klimastreiks gemacht – weil es Zeit wird, zu handeln. Zumindest im Bereich der Klimapolitik haben viele verstanden, dass wir nur alle zusammen etwas erreichen können.
Es sind nicht (nur) die anderen, die etwas tun können. Man muss bei sich selbst anfangen.
Ich möchte nicht mehr hören: Ja, was macht denn die Politik dagegen?
Mich frustriert es, wenn die eigene Trägheit vorgeschoben wird.
Deshalb habe ich mich entschlossen, selbst Mitglied einer Partei zu werden.
Weil ich mich nicht auf den Entscheidungen anderer ausruhen möchte.
Weil ich glaube, dass es neben dem Engagement im privaten Umfeld auch wichtig ist, politisch zu sein.
Weil ich mir später nicht sagen möchte, ich hätte nicht alles versucht.
Weil ich Vorbild sein möchte für andere, die noch überlegen oder zweifeln.
Weil ich hoffe, mehr Menschen mit aktivistischen Themen erreichen zu können.
Und die Welt zu einem besseren Ort für alle Menschen zu machen.
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