Im Interview beantwortet Nora Hespers meine Fragen über eine cis-männlich dominierte Podcast-Szene und wie Frauen sich gegenseitig unterstützen können.
Ganz kurz und knapp: Du in drei Worten?
Mensch. Frau. Nora.
Was sind deine Projekte und Leidenschaften?
Seit Ende 2014 blogge ich über meinen Großvater Theo Hespers, im Februar 2015 habe ich das Projekt auch als Podcast umgesetzt. Mein Großvater war überzeugter Katholik, aber ein Gegner der Kirche und deshalb freikirchlich organisiert. Er musste bereits im Frühjahr 1933 Deutschland verlassen, weil er von den Nationalsozialisten als politischer Gegner verfolgt wurde. Mit ihm im Exil waren mein Vater, geboren 1931, und meine Oma. Mein Vater hat lange genug gelebt, damit wir in den letzten Jahren noch ein paar längere Interviews führen konnten. Viele andere Unterlagen habe ich in Archiven und im Internet recherchiert. Über den Blog und den Podcast versuche ich, das Leben meines Großvaters wieder lebendig werden zu lassen. Und entdecke auch immer wieder Parallelen zur heutigen Zeit. Über die Arbeit an diesem Projekt habe ich meine Leidenschaft fürs Podcasten entdeckt. Und deshalb sind inzwischen noch zwei weitere hinzu gekommen.
In „Was denkst du denn?“ denke ich gemeinsam mit der Philosophin Rita Molzberger von der Uni Köln über das Leben nach. Nicht oben im Elfenbeinturm, sondern tatsächlich über das, was uns in unserem Alltag betrifft. Im Prinzip ein philosophisches Mashup mit Alltagsbezug, bei dem die Expertise eindeutig bei Rita liegt. Vor einem Jahr habe ich dann noch „Mensch, Frau Nora!“ gestartet. Eigentlich hab ich da keine Zeit für, aber ihr wisst ja, wie das mit Leidenschaften ist – sie nehmen sich ihre Zeit.
Womit prokrastinierst du am liebsten?
Das würde bedeuten, dass ich gerne prokrastiniere. Tu ich aber gar nicht. Ich würd’s lieber lassen. Aber mein Erdmännchengehirn lässt sich unglaublich leicht ablenken. Und deshalb erwische ich mich oft dabei, wie ich dann doch wieder durch Twitter oder Instagram scrolle – oder Mario World auf dem Handy zocke statt ins Bett zu gehen. Nur noch 5 Versuche …
Die Podcast-Szene ist immer noch stark männlich geprägt
Mit „Mensch, Frau Nora!“ machst du einen Interviewpodcast nur mit Frauen über deren Leben/Berufe. Aber du redest nicht darüber, dass du bewusst keine Männer dazu einlädst. Gibt es dafür einen Grund?
Die Podcast-Szene ist immer noch stark männlich geprägt. Wobei ich gerade in der freien Podcast-Szene auch von männlichen oder männlich gelesenen Podcastern viel Unterstützung erhalten habe. Das möchte ich gleich vorweg schicken. Aber wenn man den Spieß mal umdreht, rechtfertigen sich Männerpodcasts ja auch nicht dafür, dass sie keine Frauen einladen. Egal ob bewusst oder unbewusst. Und deshalb lade ich ebenso selbstverständlich Frauen in meinen Podcast ein. Ich setze im Prinzip dieselbe Normalität voraus. Auch wenn das als Gegenbewegung natürlich eine bewusste Entscheidung ist. Aber ich finde eben nicht, dass ich das thematisieren muss.
Wie sind deine Erfahrungen als Frau im Fußballjournalismus?
Als ich 2013 das erste Mal öffentlich für viele Menschen wahrnehmbar über Fußball gesprochen habe, hatte ich einen riesen Respekt vor der Aufgabe. Oder ums mal in ganz ehrliche Worte zu fassen: Ich hatte die Hosen voll. Ich war „Social Radio Reporterin“ in der WDR2 Liga Live Bundesliga-Konferenz. Im Prinzip DIE Fußballsendung im Radio. Mit riesiger Reichweite. Glücklicherweise gibt es im Hörfunk Vorreiterinnen wie Sabine Töpperwien. Frauen finden da statt. Punkt. Das war mir nur damals nicht so bewusst.
In meinem Job als Sidekick des Moderators ging es darum, den Hörerinnen und Hörern eine Stimme on air zu geben, die uns schreiben während die Spiele laufen. Das Feedback von außen war überraschend positiv. Trotzdem habe ich fast ein Jahr gebraucht, um mit dem entsprechenden Selbstvertrauen alle 14 Tage on air zu gehen. Ausgerechnet da wurde die Position des Sidekicks aber wieder eingestellt. Später habe ich bei WDR 1LIVE montags und manchmal am Wochenende über die Bundesliga berichtet.
Klar sind mir dabei auch Fehler unterlaufen. Aber falls es da Hasstiraden gab, sind die mir zumindest nie weitergeleitet worden. Trotzdem ist mir sehr bewusst, dass Frauen als Journalist:innen im Fußball immer noch mit hartem Gegenwind zu kämpfen haben. Hasserfüllte und massiv sexistische Kommentare gegenüber ZDF-Kommentatorin Claudia Neumann und auch Hörfunkreporterin Sabine Töpperwien sind in den sozialen Netzwerken nach wie vor an der Tagesordnung. Auch meine Kolleginnen beim FRÜF-Podcast (Frauen reden über Fußball) bekommen immer mal wieder mit, wie wenig selbstverständlich es auch 2019 noch ist, dass Frauen über Fußball sprechen. Ich selber nutze soziale Netzwerke fast gar nicht, um über Fußball zu diskutieren. Das würde einfach zu viel Zeit und Energie kosten, die ich inzwischen lieber anderweitig nutze.
So lernen wir, dass eben nur für wenige von uns Platz ganz oben ist
Gibt es vielleicht Bündnisse mit anderen Frauen auch hinter den Kulissen?
Das ist ein großer Verdienst der Frauen vom FRÜF-Podcast, dass sich dadurch immer mehr Frauen finden, die im Bereich Fußball-/Sportjournalismus arbeiten. Denn bislang gab es, zumindest meines Wissens, nur wenig Vernetzung hinter den Kulissen. Das hat, glaube ich, auch mit den Strukturen zu tun. Bisher war einfach für nur wenige Frauen Platz im Fußballgeschäft. Die wenigen, die es geschafft haben, brauchten die Bündnisse mit Männern, um weiterzukommen. Denn so viele Frauen in führenden Positionen sind da einfach nicht.
Die Komikerin Carolin Kebekus hat das in einem Interview mit Carolin Matzko mal ganz gut beschrieben (Anmerkung: Artikel leider hinter einer Bezahlschranke): Wir Frauen lernen früh, dass es nur eine von uns schaffen kann. Eine wird die Prinzessin, die am Ende den Prinzen heiratet, bei den Schlümpfen gibt es nur eine Schlumpfine. So lernen wir, dass eben nur für wenige von uns Platz ganz oben ist. Und das ist natürlich quatsch. Wir könnten auch viele sein. Das geht aber nur dann, wenn wir uns vernetzen, zusammenarbeiten und gegenseitig pushen. Dieses Verständnis sickert gerade glücklicherweise bei immer mehr Frauen durch. Auch bei mir. Und glaubt mir, ich hab lange dafür gebraucht.
Was glaubst du: Warum tauchen Frauen so selten in den Podcast-Toplisten auf?
Die einfachste Antwort ist, glaube ich, dass es insgesamt gesehen einfach viel mehr Podcasts von Männern gibt. Viele davon podcasten auch schon relativ lange und haben sich längst etabliert. Frauen müssen sich da erst einen Namen machen, das dauert einfach. Und vielleicht gibt es da auch strukturelle Gründe. Zum Beispiel, dass Frauen oft mit Care-Arbeit beschäftigt sind und weniger Zeit haben regelmäßig zu podcasten. Oder Babypausen einschieben müssen und dann schlechter wieder reinkommen. Ich kann mir das zumindest gut vorstellen, aber um das seriös beantworten zu können, bräuchte es an dieser Stelle eigentlich Forschung. Letztendlich ist auch die Podcast-Landschaft ein Spiegel der Gesellschaft.
Und daran können wir nur was ändern, wenn wir uns auch hier gegenseitig unterstützen. Also aktiv auch Frauen auf die einschlägigen Podcast-Panel einladen, ihre Arbeit sichtbar machen, über sie berichten, etc. Da können natürlich auch die Männer mithelfen. Indem sie sich eben bewusst machen, dass ihre Veranstaltungen sehr männlich dominiert sind. Dass es auch anders geht, hat übrigens die letzte Subscribe in Köln gezeigt. Die Subscribe ist eine Podcaster:innen-Konferenz, die meist einmal im Jahr stattfindet. Dort wird sich aktiv um ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis bemüht, auch wenn das nicht immer gelingt. Aber zumindest auf dem Podium und bei den Workshops klappt das ganz gut: Frauen und Podcasts: Ein Panel von der Subscrice 2019 / Auswertung Speaker:innen-Quote von Daniela Ishorst auf Twitter.
Galoppiert einfach selbst nach vorne
Obwohl es immer mehr Podcasts mit Frauen gibt, bleiben ihre Produktionen immer noch weniger sichtbar. Was kann man dagegen tun?
Die beste Möglichkeit, Frauen in die Podcast-Charts zu pushen: Hören, teilen, empfehlen. Verteilt Sterne auf den einschlägigen Podcast-Portalen wie Apple Podcast, Spotify, Deezer, Audible – oder wo ihr sonst noch Podcasts hört. Schreibt Rezensionen, die anderen Menschen Lust auf den Podcast machen. Da sind Männer interessanterweise deutlich aktiver. Und auf Seiten der Podcaster:innen: Redet über das, was ihr da tut. Investiert Zeit in Twitter, Instagram oder Mastodon, um auf euch aufmerksam zu machen. Der Prinz auf dem weißen Pferd in der Ritterrüstung, der euch ins Licht der Öffentlichkeit hebt, ist halt ein Märchen. Galoppiert einfach selbst nach vorne.
Organisiert Live-Podcast-Events und Hörer:innen-Treffen und verlasst euch nicht darauf, dass irgendwer anders schon was organisiert hat und ihr dann ja da stattfinden könnt. Gleichzeitig weiß ich, dass das ein enorm hoher Anspruch gerade an Frauen ist. Denn all die anderen Aufgaben, die viele von uns noch so nebenbei erledigen, bleiben dann einfach liegen. Aber auch da hilft gegenseitige Unterstützung.
Gute Podcast-Produktionen vor allem zwei Dinge: Zeit und Geld
Was macht eine gute Podcast-Produktion aus?
Das kommt ganz darauf an, was das Ziel ist. Ich persönlich finde, es gibt keine Entschuldigung mehr für schlechten Ton. Gutes Equipment ist inzwischen sehr erschwinglich. Es gibt Plattformen wie Auphonic, die helfen, den Ton zu optimieren, ohne eigenes technisches Wissen. Es gibt sehr viel Unterstützung in Portalen wie dem Sendegate. Aber es gilt auch: Es ist noch keine Meisterin vom Himmel gefallen. Bevor dieser Anspruch jemanden abschreckt, mache ich lieber Abstriche bei der Tonqualität als auf einen spannenden Podcast zu verzichten. Wer eine Geschichte zu erzählen hat und leidenschaftlich dabei ist, kann aus jedem Thema einen spannenden Podcast produzieren.
Wirklich gute Podcast-Produktionen brauchen aber vor allem zwei Dinge: Zeit und Geld. Das gilt geschlechtsunabhängig. Erst, wenn Podcasten nicht mehr nur ein zeitaufwändiges, aber unbezahltes Hobby ist, wird sich die Qualität entsprechend verbessern.
Welchen Podcast (nicht von dir) sollte jede:r von uns hören und weshalb?
Mir fällt es extrem schwer, hier nur einen rauszupicken. Einfach, weil mich in letzter Zeit sehr viele Produktionen überzeugt haben. Deshalb nenne ich hier einfach den, den ich zuletzt gehört habe: Filterbabbel – ein Podcast der Journalistinnen Ann-Kathrin Büüsker und Karolin Schwarz über Netzpolitik und digitale Gesellschaft. Ein Thema, in dem Frauen ebenfalls völlig unterrepräsentiert sind, das aber enorm wichtig ist für unsere Gesellschaft. Wer noch mehr Podcast-Tipps haben möchte, folgt mir am besten auf Twitter oder Instagram. Da empfehle ich ziemlich regelmäßig, was ich so höre.
Und welches Buch sollte jede:r von uns lesen?
Weil ich zum Lesen so wenig Zeit habe, höre ich Bücher vor allem. Das letzte Buch von einer Frau, das ich gehört habe, war „Rage Becomes Her – The Power Of Women’s Anger“ von Soraya Chemaly. Darin geht es um die Wut von Frauen und wie Frauen gelernt haben, diese Wut zu unterdrücken und warum es wichtig ist, diese Wut als legitim anzuerkennen, um gesellschaftliche Lösungen zu erarbeiten. Dieses Buch macht wütend. Aber es macht eben auch handlungsfähig.
Pessimismus motiviert mich, im Hier und Jetzt anzupacken
Wie siehst du die Zukunft in 100 Jahren?
Wenn wir so weitermachen wie jetzt, hat sich das mit der Zukunft in 100 Jahren vielleicht auch bald erledigt. Das klingt pessimistisch, aber dieser Pessimismus motiviert mich, im Hier und Jetzt anzupacken. Für mich heißt das, mich aktiv mit Themen wie Umweltschutz, Rassismus, Kolonialismus, Extremismus und Ungleichheit zu beschäftigen. Denn alles hängt mit allem zusammen. Wenn wir nicht lernen, unsere Privilegien zu hinterfragen und nicht aufhören, unseren Wohlstand als selbstverständlich anzunehmen, werden wir nichts ändern. Dabei leben wir Menschen massiv über unseren Verhältnissen. Nicht nur, was physische Ressourcen angeht.
Dass sich viele Menschen heute so überfordert fühlen, liegt auch an den psychischen Ressourcen, die wir massiv überstrapazieren, um mit dem Tempo dieser Welt Schritt zu halten. Um in 100 Jahren eine Zukunft zu haben, müssen wir – also die privilegierten Menschen – zwangsläufig auf bestimmte Dinge verzichten. Das klingt erstmal hart, aber letztendlich bietet dieser Verzicht ja auch die Chance, sich auf das Wesentliche zu besinnen. Oft verbirgt sich hinter einem vordergründigen Verzicht eine bereichernde Erfahrung. Zumindest habe ich das bisher immer so erlebt. Entscheidend ist aber, die Wahl zu haben das zu tun. Wer gezwungen ist zu verzichten, wird das selten als Bereicherung erleben. Da ich aber gerne in 100 Jahren noch eine Zukunft für die Kinder dieser Welt hätte, muss ich wohl ran.
Vielen Dank, liebe Nora, dass du dir die Zeit für das Interview genommen hast!
Nora Hespers ist Diplom-Sportwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Medien und Kommunikation. Seit 2003 arbeitet sie als freie Journalistin, seit 2010 als Hörfunk-Autorin und Social-Media-Redakteurin für Deutschlandfunk Nova. 2014 hat sie ihren ersten Podcast, „Die Anachronistin“, ins Leben gerufen, in dem sie sie die Lebensgeschichte ihres Großvaters, dem Widerstandskämpfer Theo Hespers, erzählt, der 1943 wegen Hochverrats von den Nazis hingerichtet wurde. Für zwei ihrer Podcasts wurde sie bereits für den Grimme Online Award nominiert. Weitere empfehlenswerte Podcasts findet ihr in unserer Liste: englische und deutsche Podcasts.
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