Warum die Serie für SciFi-Fans (auch) aus feministisch-emanzipatorischer Sicht spannend ist
(Spoiler: Der Artikel enthält geringe Spoiler für die Serie „Doctor Who“, allerdings hoffentlich keine storyrelevanten Spoiler, die den erstmaligen Genuss der Serie schmälern würden.)
Das Jahr 2020 beginnt für Serien- und SciFi-Fans, wie es sollte: Eine neue Staffel „Doctor Who“ mit der großartigen Jodie Whittaker wartet seit 1. Januar auf uns. „Doctor Who“, das ist vermutlich DIE britische TV-Serie, ein nationales Kulturgut, Identifikationspunkt für viele Brit:innen (Kinder wie Erwachsene) und nicht zuletzt häufiger Einstiegspunkt für die Beschäftigung mit Science Fiction und Fantasy. Anfang der 1960er Jahre von Ideengeber Sydney Newman und TV-Produzentin Verity Lambert für die BBC geschaffen, sind mittlerweile Generationen von TV-Zuschauer:innen mit den Geschichten um „The Doctor“ aufgewachsen und zu „Whovians“ geworden.
„The Doctor“, das ist ein Alien, spezieller ein „Timelord“, das (vielleicht) letzte seiner Art. Menschen sehen zufällig genauso aus wie Timelords, weshalb ein Timelord sehr gut mit Menschen interagieren kann, ohne aufzufallen – und wir als Zuschauende sie:ihn fast als Menschen wahrnehmen, sehr empathisch mitfühlen können. Gemeinsam mit sogenannten „Companions“ (verschiedenen Menschen und anderen Aliens) ist „The Doctor“ in ihrer:seiner Zeitmaschine, der TARDIS in Raum und Zeit unterwegs. Die TARDIS hat die Form einer typischen britischen blauen Police Box, die innen viel größer ist als außen. Sie ermöglicht es „The Doctor“ und den Companions nicht nur auf der Erde der Gegenwart, sondern auch auf verschiedensten Planeten und sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft unterwegs zu sein, Abenteuer zu erleben, zu forschen, zu entdecken, Spaß zu haben. Immer wieder müssen die Abenteurer:innen aber auch das Raum-Zeit-Kontinuum im Gleichgewicht halten und Menschen, Aliens oder gleich das ganze Universum vor dem sicheren Tod bewahren.
Das funktioniert deshalb schon fast 60 Jahre und mit unterschiedlichen Schauspieler:innen in der Rolle von „The Doctor“, weil die Schöpfer:innen der Serie sich einen besonderen Kniff haben einfallen lassen: Timelords können mehrfach regenerieren – sie erstehen nach einem vermeintlichen Tod mit einer neuen körperlichen Fassade wieder auf. Der Charakter bleibt ähnlich, aber ein paar Eigenheiten zeichnen doch jede:n neue:n Doctor aus, so zum Beispiel ein charakteristisches Outfit. 2005 erfuhr die Serie ein Reboot, das sogenannte „New Who“ (im Gegensatz zum „Old Who“) entstand und die TV-Moderne macht seitdem auch vor „Doctor Who“ nicht Halt. In mittlerweile 11 „New Who“-Staffeln konnten drei Showrunner (oberste:r Verantwortliche:r für das Tagesgeschäft einer Serie) und fünf Doctor-Darsteller:innen die Serie mitgestalten und stilistisch, technisch sowie thematisch im 21. Jahrhundert ankommen lassen.
Hinweis: Alle Staffelangaben im Folgenden beziehen sich ausschließlich auf das „New Who“.
Warum ich euch das alles auf einem feministischen Blog erzähle?
Erstens ist es mit Fandoms in der SciFi- und Fantasy-Welt, die immer noch häufig männlich geprägt sind – zumindest was die lauten Stimmen angeht –, ja in den letzten Jahren fast zur Tradition geworden, dass die Besetzung einer bisher nur von Männern gespielten Figur mit einer Frau zu einem Aufschrei von „Das geht so nicht!“ über „Zerstörung meiner Jugend!!1!“ bis zu „Weltuntergang!1!!!1elf!!“ führt. So auch bei „Doctor Who“.
Jodie Whittaker ist die erste Frau, die die Rolle von „The Doctor“ verkörpert. Bei der feierlichen Verkündung dieser Casting-Entscheidung im Juli 2017 waren die Kommentarspalten und sozialen Netzwerke schnell voll von vernichtender angeblicher Kritik; was dahinter steckte, war Gejammer. Glücklicherweise wurden aber auch schnell die Stimmen laut, die sich in der Entscheidung wiederfanden, sie als längst überfällig ansahen und sich von der nun stattfindenden Repräsentation empowert fühlten. So wurde Jodie Whittaker als „Thirteen“ (sie ist di:er 13. Doctor-Darsteller:in) nicht nur für mich zu einer meiner Lieblings-Doctor:innen – denn sie erfüllt die Rolle in meinen Augen perfekt.
Zweitens hat mein persönliches Verhältnis zu „Doctor Who“ nicht unwesentlich mit meinem Feminismus zu tun. Denn erst durch Jodie Whittaker als Doctor habe ich mich überhaupt endlich aufgerafft, in das große „Doctor Who“-Universum einzutauchen, von dem ich ob seiner Masse (bis dahin 26 Staffeln „Old Who“ und 10 Staffeln „New Who“) bisher immer abgeschreckt gewesen war, obwohl ich eigentlich zu wissen glaubte, dass es mir als SciFi-Fan insgesamt gefallen würde. Statt vorne anzufangen, wie es einem ein:e „echte:r Whovian“ *gähn* wohl empfohlen hätte, entschied ich, einfach die neue Staffel mit Jodie Whittaker zu gucken und im Zweifel Dinge, die ich nicht verstehen würde, zu googeln. Mir doch egal, ob das gegen die Regeln irgendeines Fandoms verstößt.
Was dann passierte: Ich habe 2019 einen echten Ritt durch das „New Who“ hinter mir. Nachdem ich Ende 2018 mit der Jodie-Whittaker-Staffel durch (und begeistert!) war, entschied ich Anfang 2019 spontan, mit Staffel 1 von „New Who“ weiterzumachen und mich einmal durch zu gucken, komme was wolle. Zehn Staffeln und ein Jahr später stehe ich nun hier, und will noch ein paar Erkenntnisse mit euch teilen. Am Ende warten auch noch ein paar Einstiegshilfen in das Universum auf euch.
Hinweis: Auf Deutsch ist das Schreiben über „The Doctor“ ohne genderspezifische Pronomen schwierig. Der deutschen Synchronisation der Serie folgend schreibe ich im Folgenden „er/ihn“, wenn „The Doctor“ von einem Mann gespielt wird, und „sie“, wenn „The Doctor“ von einer Frau gespielt wird.
„Doctor Who“ ist SciFi-Gold!
Ihr werdet beim Lesen der bisherigen Absätze bemerkt haben, dass es mir schwer fiel, das Konzept/die Geschichte hinter „Doctor Who“ in wenigen Worten zusammenzufassen. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass das World Building mittlerweile fast 60 Jahre Zeit hatte, sich ganz langsam aufzubauen und zu entfalten. Aber tatsächlich taucht man trotz aller Komplexität schon nach wenigen Folgen voll ein in dieses Universum, in dem die Bösewichte über die Jahrzehnte die gleichen bleiben und man fast eine liebevolle Beziehung zu ihnen entwickelt, mögen sie noch so unmenschlich anmuten.
Die SciFi- und Fantasy-Anteile, insbesondere die verschiedenen Alienrassen, ihre Planeten und ihre Gesellschaften, sind gut ausbalanciert, und moralische Fragen schwingen stets mit. Das ist etwas, was mir in SciFi oft fehlt: dass die moralischen Fragen keine Worthülsen bleiben, sondern wirklich innerhalb der Geschichte verhandelt werden. Wie di:er Doctor immer wieder mit ihrer:seiner großen Macht konfrontiert ist, dies mal reflektiert, mal aber auch nicht, und dadurch dann, wie gegen Ende der Tennant-Ära, in dicke Schwierigkeiten gerät, lässt eine:n als Zuschauer:in gemeinsam mit dem Doctor nachdenken, lernen und wachsen.
Emotionalität ist nie von Technologie abgekoppelt
Schon wieder etwas, bei dem ich den Vergleich zu anderen populären SciFi-Stoffen heranziehe: Viel zu oft legen sie für meinen Geschmack den Fokus auf Technologie, Fortschritt und den moralischen Zeigefinger bezüglich Technikvertrauen in unserer heutigen Zeit vollkommen losgelöst von Emotionen, die nicht „Angst“ sind. „Doctor Who“ zeigt all das auch, lebt aber gleichzeitig von Emotion. An manchen Stellen mag das etwas kitschig erscheinen, an anderen wird aber ganz deutlich, dass beides nicht getrennt voneinander betrachtet werden kann und sollte. Und so kommen mir beim Schauen ein ums andere Mal die Tränen, wenn beispielsweise eine Alienrasse von der Menschheit mittels geschickter Technologie versklavt wurde und der Doctor und seine Companion ob der wahrhaftigen Erschütterung über diese Erkenntnis fast zusammenbrechen – nicht ohne die Rasse am Ende gegen alle Widerstände zu befreien und in ihre natürliche Lebensform zurückzuführen.
Die Serie kann Frauenfiguren – aber nicht immer
Ich mochte manche Frauenfiguren und ihre Entwicklung sehr – an anderen sehe ich aber nur den „Male Gaze“ beim Schreiben. Letzteres trifft vor allem auf die Frauen in der Moffat-Ära (also ab Staffel 5, wo Steven Moffat Showrunner der Serie wird) zu. Amy Pond, eine im Fandom ziemlich beliebte Companion, wird beispielsweise in die Serie eingeführt durch einen Kamerashot, der ihre Beine hochfährt, während sie eine Polizeiuniform mit kurzem Rock trägt – und das, nachdem wir Amy kurz vorher noch als Kind kennengelernt haben. Creepy, oder?
Auch wäre der Doctor, der zum Glück alles andere als fehlerfrei ist, ohne viele Frauen in seinem Leben einfach aufgeschmissen. Dies wird aber nicht gewürdigt, indem die Frauen eine Agenda außerhalb einer Unterstützung des Doctors bekämen – auf die Spitze getrieben durch Clara Oswald, die als Person sogar konzeptuell nur aus Doctor-Rettungsgründen existiert.
Andere Frauenfiguren lassen mich hingegen Jubelschreie ausstoßen. Da ist zum Beispiel Rose Tyler, die aus einer Arbeiter:innenfamilie in einem großen Wohnblock in London kommt und ohne Vater mit einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen ist. Auf den ersten Blick war sie mir zu viel Klischee (blond, Rosa-Faible, geht gerne shoppen, ist immer ein bisschen zu sehr emotional in Dinge involviert), aber je besser wir sie kennenlernten, desto klarer wurde mir, dass mich hier mein eigener Klassismus und meine internalisierte Misogynie getäuscht hatten. Dass die Serie es schafft, mir das vorzuführen, rechne ich ihr hoch an. Meine absolute Favoritin unter den Frauenfiguren ist Donna Noble, Companion aus Staffel 3, die eine absolut ebenbürtige Rolle zum Doctor spielt und dabei schlagfertig, witzig, empathisch und nie emotional abgestumpft daherkommt. Umso schöner, wie die Serie ihren Status zum Ende hin markiert und Donnas spezielle Rolle für den Doctor, ohne ihm „zu Diensten zu sein“, zu würdigen weiß.
Insgesamt sind die Geschlechterverhältnisse bei allen Haupt- und Nebenfiguren – mit Ausnahme des Doctors selbst – sehr ausgeglichen. Am Anfang fällt einer:m das noch angenehm auf, im weiteren Verlauf wird es zur Normalität und man beginnt, andere Serien daran zu messen.
Was ich mir wünsche: mehr Diversität
Für die Zukunft wünsche ich mir noch mehr Diversität in der Serie. „Doctor Who“ hat hier einige gute Ansätze gezeigt: zum Beispiel mit dem weiße Privilegien reflektierenden Ansatz beim Erzählen der Geschichte von Rosa Parks und deren historischer Bedeutung; zum Beispiel mit der Einbindung gehörloser Figuren (und gehörloser Schauspieler:innen!) in die Geschichte einer Doppelfolge; zum Beispiel durch die Einführung des vor Queerness triefenden Jack „Captain Jack“ Harkness, dessen Bisexualität aber leider erst im „Doctor Who“-Ableger „Torchwood“ explizit auserzählt wurde. Darauf lässt sich aufbauen.
Ich wünsche mir eine:n schwarze:n Doctor, ich wünsche mir nicht-binäre Charaktere, und ich wünsche mir, dass sie alle auch außerhalb dieser Merkmale spannende Geschichten zu erzählen haben und eine Agenda verfolgen dürfen. Denn das habe ich über dieses Jahr bei „Doctor Who“ gelernt: Figuren wirklich tief charakterisieren, das können sie. Besonders in den neuen Showrunner Chris Chibnall, dem es ein unbedingtes Bedürfnis war, dass sein:e erste:r Doctor eine Frau wird, und seinen recht diversen Writers Room habe ich da große Hoffnungen.
Und jetzt? Drei Einstiegsempfehlungen
Ihr wollt auch mit „Doctor Who“ anfangen und herausfinden, ob es etwas für euch ist, aber bisher hat euch die schiere Menge an Staffeln abgeschreckt? Dann habe ich drei Einstiegsempfehlungen für euch. Für alle drei gilt: Lasst euch nichts erzählen – lasst „Old Who“ ruhig erstmal links liegen. „Doctor Who“ funktioniert auch ohne das Wissen aus den alten Staffeln sehr gut, und die Machart von „New Who“ holt uns mit unseren modernen Sehgewohnheiten doch eher ab. Wenn es euch gefällt, habt ihr nach den aktuellsten Staffeln dann immer noch ganz viel Altes vor euch, das ihr noch nicht kennt, und das ist doch auch schön!
- Wenn ihr euch von schlechtem CGI nicht abschrecken lasst (und vielleicht sogar Spaß daran habt), ist tatsächlich Staffel 1 mit Christopher Eccleston kein schlechter Einstieg, auch wenn man dann einen Berg an Folgen vor sich hat. Die Staffel hat sowohl spannende Einzelfolgen als auch eine gute staffelübergreifende Handlung; beides zeichnet die Serie aus. Christopher Eccleston spaltet das Fandom – aber gleich in Staffel 2 kommt David Tennant, Publikumsliebling und auch mein All-Time-Favourite als Doctor in die Serie.
- Gute Einstiegspunkte gibt es bei „Doctor Who“ auch immer mit einem Showrunnerwechsel, also zum Beispiel mit dem Start von Steven Moffat als Showrunner und Matt Smith als Doctor in Staffel 5. Dies könnte vor allem dann euer perfekter Einstiegspunkt sein, wenn ihr die alten Folgen von Moffats „Sherlock“-Serie mochtet und euch Mystery-Boxes als Stilmittel gefallen (auch wenn er dieses Stilmittel in meinen Augen im Laufe der Serie ganz schön überreizt; aber über Moffat kann man sich auch in vielen anderen Punkten ganz hervorragend aufregen, was an anderer Stelle schon zu genüge getan wurde).
- Wenn ihr richtig Bock auf eine tolle Doctorin und einen Stinkefinger in Richtung reaktionärer Fandom-Bewahrer [sic!] habt, macht’s wie ich: Fangt mit Jodie Whittakers „Thirteen“ (Staffel 11 & 12) an. Wenn es euch catcht, passiert das Weiterschalten zu Staffel 1 ganz von selbst. Und wenn nicht, dann ist das auch okay.
Auf jeden Fall sei zum Abschluss festgehalten: Man kann „Doctor Who“ nicht „falsch“ oder „ohne die Würdigung des Gesamtwerks“ schauen, wie es eine:n manche „Superfans“ gerne glauben lassen würden. Holt das aus der Serie raus, was euch wichtig ist, nicht das, was andere euch vorschreiben wollen. Kritisch sein lohnt sich an vielen Stellen der Serie, nicht selten an Momenten und Storytelling-Elementen, die vom Fandom besonders geliebt werden. Aber „Doctor Who“ belohnt eine:n am Ende mit wirklich fantastischen Geschichten, liebevoll gezeichneten Charakteren und einem Universum, in dem man am liebsten selbst di:er nächste Companion an der Seite der:s Doctor:s wäre, um mit ihr:m in der TARDIS durch Raum und Zeit zu reisen. „Doctor Who“ ist für alle da.